piwik no script img

Reputationsnot

■ I. Burumas fiktive Autobiographie eines indischen Fürsten

In Edward Morgan Forsters berühmtem Roman „A Passage to India“ (1924) bringt der Lehrer Cyril Fielding die kolonialen Konflikte zwischen Briten und Indern auf den Punkt, indem er feststellt, daß „wir nicht in uns selbst existieren, sondern so, wie wir von anderen wahrgenommen werden“.

Colonel Shri Sir K.S. Ranjisinhij, Jam Saheb von Nawanagar, wie der korrekte Titel der Hauptfigur aus Ian Burumas Roman „Das Spiel des Maharadschas“ lautet, hätte Fieldings These vielleicht noch um ein „wollen“ ergänzt. Aber er hätte dies nie offen zugegeben, sein aristokratisches Selbstbewußtsein hätte es verhindert. Doch in der fiktiven Autobiographie, die der Engländer Ian Buruma über den indischen Prinzen und englischen Kricketspieler Ranji geschrieben hat, wird von Zeile zu Zeile deutlich, wie sehr alles Denken und Streben des Helden darauf gerichtet ist, englische Wesensart und Lebensführung perfekt zu verinnerlichen.

Nach einer etwas langatmigen Einleitung, in der uns Buruma mit Portraits einiger spleeniger Gentlemen, die an einer ähnlichen inneren Zerrissenheit wie Fürst Ranji zu leiden scheinen, von der Aktualität seiner historischen Spurensuche zu überzeugen sucht, führt er uns direkt in eine spätviktorianische Kolonialwelt, wie man sie aus den Romanen von Rudyard Kipling und E.M. Forster kennt. In einem fiktiven Brief aus dem angeblichen Nachlaß Ranjis nimmt dieser zutiefst enttäuscht die Absage des Prince of Wales, ihn in seiner Stadt zu besuchen, zum Anlaß, seinem englischen Sportsfreund Charles B. Fry seine Lebensgeschichte zu erzählen.

Vor den Augen des Lesers entsteht die Welt eines indischen Potentaten mit erlesenem Geschmack und mondänem Lebensstil, eines Wanderers zwischen den Welten westlicher Zivilisation und östlicher Spiritualität, eines britischen Nationalhelden, dessen sportlicher Ruhm als vielleicht weltbester Kricketspieler zu nahezu mystischer Verehrung führt.

Der junge Ranji, 1872 geboren, potentieller Nachfolger eines regierenden indischen Territorialfürsten aus dem Kriegergeschlecht der Rajputen, besucht die englische Eliteschule in Rajkot, wo er im Zuge der Charakterschulung unter anderem mit den „zwei wichtigsten Schöpfungen des Menschen: das Parthenonfries und Kricket spielende Gentlemen“ kennenlernt. „Noblesse oblige“ – Ranji verinnerlicht die Werte eines britischen Aristokraten, der dem Empire stets loyal, pflichtbewußt und selbstlos dienen wird. Disziplin, Moral, Fairneß lauten die männlichen Grundtugenden, zu denen er sich bedingungslos bekennt. Er wird auf Kosten der Staatskasse zur Vollendung seiner Ausbildung nach England geschickt. Neben dem ausschweifenden Leben eines reichen Dandys („Haltung ist Charakter“) mit Parties, Clubleben, Jagden und Männerfreundschaften entwickelt der elegante und bei allen beliebte Ranji sein sensationelles Talent zum Kricketspieler. Britisches Understatement, subtiler Witz, gute Manieren, eine untadelige Haltung zum britischen Königreich und den von ihm verkörperten politischen und gesellschaftlichen Konventionen garantieren ihm allgemeine Reputation, integrieren ihn scheinbar problemlos in die elitären Kreise von London, Cambridge und Brighton. Der gemeinsame Geistes- und Seelenadel der „famosen Burschen“ findet seinen triumphalsten Ausdruck in Ranjis Berufung in die englische Kricket- Nationalmannschaft, „der größte Tribut, den Engländer je einem Inder zollten“.

Ranji gibt sich zum Dank für die Anerkennung britischer als die Briten. Seine Sucht nach gesellschaftlicher Anerkennung bekommt manische Züge. Er ist leicht zu erschüttern, kleine Konflikte mit britischen Verwaltungsbeamten erlebt er als Tragödien. Als er schließlich 1906 den Thron seines Staates Jamnagar besteigen darf, wird mit jeder Überlegung und Entscheidung deutlich, wie weit er sich von seinem Volk und seinen Nöten entfernt hat.

Ranji baut unnötige Paläste und schickt aus Verehrung für das Empire Tausende seiner Untertanen in den Ersten Weltkrieg. Als sein Widersacher Mahatma Gandhi mit seiner Bewegung des passiven Widerstandes die Selbstverwaltung Indiens und die Beschneidung feudaler Rechte zu erzwingen sucht, geht Ranji wieder nach England, lebt dann mehrere Jahre abgeschieden in Irland. Als er 1933 stirbt (Suizid oder Asthmaanfall?), hat ihn England längst vergessen.

Ian Buruma interessiert Ranji vor allem als Typus eines scheinbar perfekt assimilierten Inders im Zeitalter der Kolonialreiche, der „in der ständigen Angst lebt, den strengen Formen, die er selbst geschaffen hatte, nicht zu genügen, als ob nur seine äußere Disziplin eine sinnvolle Ganzheit herstellen könnte“. Das Zitat ist auf einen von Burumas Freunden gemünzt, paßt aber ebenso als Charakterisierung des Helden. Ranjis Brief an C.B. Fry wird stets von Passagen unterbrochen, in denen Buruma mit seinen Freunden und mit Verwandten und Bekannten Ranjis über das Problem ihrer kulturellen Identität diskutiert. Das Problem ist aktuell: Ein Freund des Autors, ein Hindu, wurde bei Rassenunruhen in New Delhi von fanatisierten indischen Moslems erschlagen. Thomas Kraft

Ian Buruma: „Das Spiel des Maharadschas“. Roman. Aus dem Englischen von Giovanni Bandini und Ditte König. Carl Hanser Verlag, 1993, 320 Seiten, geb., 44 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen