Republikanischer Präsidentschaftskandidat: Die zwei Gesichter des Mitt Romney
Als Gouverneur von Massachusetts spielte Romney den Liberalen. Dann forderte er die Todesstrafe, schikanierte Migranten und giftete gegen Schwule. Ein Besuch in Boston.
BOSTON taz | Für die Gesundheitsreform ist Amy Whitcom Slemmer dem früheren Gouverneur von Massachusetts immer noch dankbar. „Unser Gesundheitssystem ist besser als jedes andere in den USA“, schwärmt die Verbraucheranwältin. Sie ist Direktorin der Gruppe „Health Care for All“ in Boston. Und wenn es nach ihr gegangen wäre, würden Arbeitgeber stärker zur Kasse gebeten. Aber ihr Lob für die Reform des Republikaners ist uneingeschränkt: „Mitt Romney sollte stolz darauf sein.“
Die Reform war das Glanzstück von Romneys Amtszeit im State House von Boston. Sie schaffte eine generelle Krankenversicherungspflicht, sie regelt, dass die öffentliche Hand einen Teil der Kosten für sozial Schwache übernimmt, dass Vorsorgeuntersuchungen und Krankheiten abgedeckt werden und dass Versicherungen niemanden wegen bereits bestehender Krankheiten ablehnen dürfen. Dass sie wie eine Vorwegnahme der Reform von Barack Obama klingt, ist kein Zufall. Obamas Berater haben sich Inspirationen in Massachusetts geholt, bevor sie in Washington ihr eigenes Gesetz verfasst haben.
Doch der Mann, der die Reform 2006 in Boston unterzeichnet hat, distanziert sich heute von ihr. Mitt Romney attackiert in seinem Wahlkampf täglich Obamas Gesundheitsreform. Und der 65-Jährige verspricht, dass er sie bei seinem Einzug ins Weiße Haus abschaffen wird. Genau das wollen konservative Republikaner hören. Für sie ist Obamas Reform sozialistisches Teufelszeug.
In Massachusetts riskiert Romney mit seiner Abkehr von dem eigenen Glanzstück nicht viel. In dem Bundesstaat, wo er von 2003 bis 2007 Gouverneur war, hat er ohnehin kaum Chancen, im November eine Mehrheit zu bekommen. Dort ist seine Gesundheitsreform populär, nicht seine Person.
Lauter liberale Hüllen
In Massachusetts sind republikanische Politiker oft aufgeschlossener als Demokraten in den Südstaaten. Das galt auch für Romney. Den Wahlsieg holte er sich als Liberaler, doch ins Amt gekommen, attackiert er die gleichgeschlechtliche Ehe und das Recht auf Abtreibung. Und er versuchte, die Todesstrafe wieder einzuführen. Auch haushaltspolitisch trickste er. Im Wahlkampf vertrat er das Dogma seiner Partei: keine Steuererhöhung. Im Amt schuf er neue Gebühren. Politisch ist er ein Champion der Blockade. Anstatt mit den Abgeordneten zu verhandeln, versucht er, Politik per Veto zu machen. In vier Amtsjahren legt er fast 800-mal sein Veto ein. Fast jedes Mal wird er von der demokratischen Mehrheit und manchmal auch von den republikanischen Abgeordneten überstimmt.
„Er hat nichts anderes getan, als streichen und sparen“, sagt John Templeton. Der ehemalige Präsident des Local 509 der Gewerkschaft SEIU, die Sozialarbeiter und Krankenpfleger vertritt, hat sein Schlüsselerlebnis mit Romney im ersten Amtsjahr. Am Ende einer Sitzung fragt der Gewerkschafter Romney quer durch den Raum, ob er tatsächlich 100 Millionen Dollar bei der University of Massachusetts kürzen wolle. „Romney drehte sich um und sagte: ’Nein, das ist unwahr. Ich werde 200 Millionen Dollar kürzen‘, dann machte er kehrt und verließ den Raum.“
Romney legt Universitätsverwaltungen zusammen, vergrößert Schulklassen, streicht 14.500 Stellen. Einen Tarifvertrag, der die eingefrorenen Bezüge von Beamten mit weniger als 40.000 Dollar Jahreseinkommen um 2 bis 3 Prozent erhöhen soll, blockiert er. „Eine traumatische Erfahrung“, erinnert sich Templeton. Wie so oft überstimmen ihn die Abgeordneten.
„Es heißt nicht Steuern, aber es fühlt sich an wie Steuern“
Binnen vier Jahren fließen 1,5 Milliarden Dollar zusätzlich in die Staatskasse. Unter Romney steigen die Gebühren für Führerscheine von 45 auf 65 Dollar, für Zertifikate für Notfallkrankenpfleger von 75 auf 150 Dollar, für Telefoneinheiten in Gefängnissen von 86 Cent auf 2 Dollar. Und Lobbyisten im State House müssen statt zuvor 100 Dollar 1.000 Dollar für ihre Zulassung zahlen. „Es heißt nicht Steuern, aber es fühlt sich an wie Steuern“ lautet seitdem ein Slogan in Massachusetts. Massachusetts ist Romneys politisches Sprungbrett. Je länger er im Amt ist, desto mehr reist er. In Romneys letztem Amtsjahr zählen Beobachter 212 Tage Abwesenheit.
Als er Massachusetts gewonnen hat, wendet sich Romney nach rechts. Er beginnt, die republikanische Basis zu umwerben. Bei Auftritten im Mittleren Westen reißt er Witze über Massachusetts – „Ich fühle mich wie ein Viehzüchter in einer Vegetarierversammlung“ –, die ihm manche in Boston bis heute übel nehmen. Sein erster Versuch, republikanischer Präsidentschaftskandidat zu werden, scheitert 2008. 2012 gelingt ihm der Durchbruch.
Die Chefin der Immigrantengruppe Mira, Eva Millona, erinnert sich an einen Gouverneur, „der aus einer Unternehmenswelt kommt und nicht versteht, dass wir Gesetze brauchen, die Leute schützen“. Die in Albanien aufgewachsene Eva Millona macht zu Romneys Amtszeit Lobbyarbeit im State House. Mira will die die dreimal höheren Studiengebühren abschaffen, mit denen Studenten ohne Papiere bestraft werden, obwohl sie in Massachusetts aufgewachsen sind.
Doch Romney setzt darauf, „Illegalen“ das Leben schwer zu machen. Er ist der einzige Gouverneur von Massachusetts, der versucht, State Troopers einzusetzen, um „Illegale“ zu finden. Und wenn seine Verwaltung herausfindet, dass ein Papierloser ein Studienstipendium für Begabte erhalten hat, entzieht sie ihm die Förderung wieder. Dem Prinzip der Schikane als Migrationspolitik bleibt Romney treu. In seinem Präsidentschaftswahlkampf spricht er von „Selbstdeportation“.
„Perverse“ Beziehungen
Zu Beginn der Sitzungen der dem Gouverneur unterstellten „Kommission für schwule und lesbische Jugendliche“ verliest die Vorsitzende Kathleen Henry oft einen Passus aus Romneys Antrittsrede von 2003: „Wir verteidigen die Bürgerrechte, unabhängig von Geschlecht und der sexuellen Orientierung.“ Die Schriftstellerin will den „wunderbaren Satz“ glauben. Zwar hat der Boston Globe von einer Rede vor 300 Mormonen berichtet, in der Romney gleichgeschlechtliche Beziehungen als „pervers“ bezeichnet habe, doch in der Öffentlichkeit gibt sich der Politiker anders.
In seinem gescheiterten Senatswahlkampf 1994 verspricht er, „mehr für die Gleichheit von Schwulen und Lesben zu tun“ als sein Gegenspieler Ted Kennedy. Im Gouverneur-Wahlkampf 2002 verteilen Romneys Mitarbeiter Flugblätter, die einen schönen Christopher Street Day wünschen. Und der Kandidat unterstützt gleichgeschlechtliche Partnerschaften.
Als Gouverneur kürzt Romney das Budget der Jugendkommission und versucht anschließend, die Kommission aufzulösen. Auch das verhindern die Abgeordneten im State House. Zwei Wörter scheinen für Romney besonders unerträglich zu sein: transgender und bisexuell.
Transgender nicht erwähnen
Der Anwalt Don Gorton ist ein Pionier gegen „Hate Crimes“ in Boston. Als Romney Gouverneur wird, arbeitet Don Gorton im Auftrag eines früheren republikanischen Gouverneurs gerade an einem Überblick über den Umgang mit Mobbing in Schulen. „Ein Kompendium mit Vorschlägen, um gefährdete Jugendliche – Behinderte, Homosexuelle und andere Minderheiten – zu schützen.“ Romneys Gesundheitsbehörde verhinderte die Veröffentlichung. Jahre später findet ein Journalist eine interne Mail, die Don Gortons Verdacht bestätigt. Romneys Verwaltung wollte verhindern, dass in einem Bericht ihrer Behörde das Wort „transgender“ fällt. So etwas gilt bei Konservativen als „Förderung von Homosexualität“.
In seiner Schulzeit hat Romney Jagd auf einen Mitschüler mit femininem Haarschnitt gemacht und ihm Locken abgeschnitten. Als die Episode im Mai 2012 bekannt wird, redet er sich mit Dumme-Jungen-Streiche heraus. Dass sein Opfer schwul war, will er nicht gewusst haben. Für Gorton ein klarer Fall von Mobbing. Er hat solche Schikanen selbst erlebt und hat als Jugendlicher mehrere Selbstmordversuche gemacht. Das sind Dinge, die er anderen ersparen will. Als Erklärung für Romneys Verhalten fällt Don Gorton der „weit zurückreichende Schwulenhass der Mormonen“ ein.
Im November von Romneys erstem Amtsjahr fällt das oberste Gerichte von Massachusetts eine historische Entscheidung. Zum ersten Mal in der Geschichte der USA erklärt es gleichgeschlechtliche Ehen zu einem Verfassungsrecht. Romney müsste den Entscheid umsetzen. Er probiert Blockaden, bittet die Senatoren in Washington, einen Verfassungszusatz zu schreiben, der die Ehe einen „Bund zwischen Mann und Frau“ nennt, und er versucht, dasselbe in Massachusetts einzuführen. Und weist, als alles nicht funktioniert, seine Standesbeamten an, zumindest keine homosexuellen Paare aus anderen Bundesstaaten zu trauen. Dazu holt er ein Gesetz von 1913 hervor, das dazu gedacht war, Ehen zwischen Weißen und Schwarzen zu verhindern.
Ein Mann ohne Empathie
Julie Goodridge ist die Erste, die vor dem obersten Gericht von Massachusetts ihr Recht auf Eheschließung einklagt. In den Monaten bis zu ihrer Trauung kommt es vor dem State House zu Protest. Fundamentalistische Christen laufen mit Transparenten herum, auf denen steht „Gott hasst Schwuchteln“. Julie Goodridge will den Gouverneur sprechen, der lässt sie erst vor, als Medien Druck machen. Am 6. Februar 2004 erlebt Julie Goodridge einen „Politiker ohne jedes Einfühlungsvermögen“.
„Wie soll ich meiner Tochter erklären, dass ihre beiden Mütter nicht heiraten dürfen?“, fragt Goodridge, als sie Romney gegenübersitzt. „Ich kann Ihnen nicht sagen, was Sie ihrer adoptierten Tochter sagen können“, antwortet der. Seit Wochen hatten Medien über die dramatischen Umstände von Julie Goodridges Niederkunft berichtet und darüber, dass ihre Partnerin nicht zu ihr gelassen wurde, weil sie keine Angehörige sei.
Ein knappes Jahrzehnt später sind einige der ersten gleichgeschlechtlichen Ehen geschieden, darunter die von Goodridge. Ihre Meinung zu Romney hat standgehalten. „Falls er Präsident wird, wird es schlimmer.“
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