Repression ist kein Mittel gegen Piraterie: „Notwendig sind Aktivitäten an Land“
Gegen die Piraterie in Somalia helfen militärische Mittel nur bedingt. Investiert werden muss in die zivile Kriminalitätsprävention, meint Friedensforscherin Kerstin Petretto.
taz: Frau Petretto, wer sind eigentlich die somalischen Piraten – soziologisch betrachtet?
Kerstin Petretto: Es gibt nicht „den“ somalischen Piraten. Jeder hat einen anderen Hintergrund und andere Motive. Allerdings handelt es sich gerade beim Fußvolk, also bei denjenigen, die tatsächlich die Schiffe überfallen oder die entführten Schiffe bewachen, meist um Leute ohne Ausbildung, die darin ihre einzige Chance sehen, an Geld zu kommen.
Ist Piraterie eine kommerzielle Veranstaltung oder hat sie einen politischen Hintergrund? Werden junge Männer von bestimmten Warlords auch gezwungen, sich einer Gruppe von Piraten anzuschließen?
Davon habe ich noch nichts gehört. Es gibt zwar Berichte von Leuten, die erzählen, sie seien zur Piraterie gezwungen worden, aber da ging es nicht um politischen Druck, sondern um persönliche Lebensumstände. Die Männer hatten also beispielsweise Schulden, die sie auf diese Weise abarbeiten sollten. Übrigens haben in den Küstengebieten einzelne Dörfer begonnen, sich gegen die Piraterie zu wehren. Zum einen aus ethischen Gründen, aber auch, weil infolge der Lösegeldzahlungen plötzlich sehr viel Geld im Umlauf ist und das für soziale Unruhe sorgt. Stichworte in diesem Zusammenhang sind Drogenhandel, Prostitution, auch Alkohol.
34, arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Themenschwerpunkt der Politologin sind Konflikte in zerfallenden Staaten und maritime Sicherheit. Gegenwärtig schreibt sie ihre Dissertation über regionale Sicherheit am Horn von Afrika.
Finanzieren die Lösegelder auch den Bürgerkrieg?
Natürlich fließen Gelder an die politischen Akteure, aber nicht direkt, sondern indirekt. Es handelt sich da eher um Steuern aus Einnahmen der Geschäftsleute, die an der Piraterie verdienen.
Wer verdient denn am meisten an der Piraterie?
Die Organisatoren im Hintergrund, und die werden selten vor Gericht gestellt. Sie sitzen nicht auf den Schiffen, sondern an Land. Es ist allerdings bisher kein Fall bekannt, in dem einer der Warlords zu den Drahtziehern gehört. Es geht nicht um politischen Einfluss oder Gebietskontrolle, es geht schlicht um Geld.
Nun ist ein Hamburger Gericht ja sehr weit weg von Somalia. Können sich deutsche Richter überhaupt ein realistisches Bild von den Umständen machen, unter denen Angeklagte diese Straftat begangen haben?
Das ist in der Tat extrem schwierig. Das Bild wird immer verzerrt sein, und man kann ja auch nicht verlangen, dass alle Richter Somalia-Experten sind. Aber dieses Problem lässt sich nicht auflösen. Sonst müsste man Piraten einfach freilassen, wenn man sie erwischt hat. Völkerrechtlich besteht universelle Zuständigkeit – Piraten können also überall vor Gericht gestellt werden.
Was muss passieren, um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen?
Ein militärischer Einsatz ist nur eine Behelfsmaßnahme. Notwendig sind Aktivitäten an Land. Derzeit wird einfach viel zu wenig mit lokalen Behörden zusammengearbeitet. Es gibt überhaupt keine Projekte, außer dem Bau von Gefängnissen und Unterstützung der Gerichte. Die Mittel für zivile Kriminalitätsprävention stehen in keinem Verhältnis zu dem Geld, das für die Militäroperation ausgegeben wird. Aber man muss das Gespräch mit den Leuten vor Ort suchen. Das Problem lässt sich nicht über die Köpfe der Somalis hinweg lösen.
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