Reporter ohne Grenzen über Medien in EU: „Die Einschläge kommen näher“
Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen beobachtet, dass die Einschüchterung von JournalistInnen in vielen europäischen Ländern zunimmt.
taz: Herr Rediske, der Mord an dem slowakischen Journalisten Ján Kuciak vor einem Jahr ist noch immer nicht vollständig aufgeklärt. Warum nicht?
Michael Rediske: Die Politiker in der Slowakei tun offenbar nicht alles, um die Justiz in ihrer unabhängigen Arbeit zu unterstützen. Einige Politiker scheinen vor allem darauf aus zu sein, sich und ihren Ruf zu schützen. Es gibt klare Indizien dafür, dass auch ein Netzwerk hoher staatlicher Funktionsträger in den Mordfall verwickelt ist.
In der slowakischen Zivilgesellschaft hat das öffentliche Interesse an dem Mordfall Ján Kuciak anscheinend abgenommen. In letzter Zeit gingen kaum noch Menschen auf die Straße, die für Pressefreiheit demonstrierten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Man kann von der Zivilgesellschaft nicht verlangen, dass sie jahrelang wöchentlich demonstriert. Ähnlich wie das bei anderen Morden, etwa dem an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja, der Fall war, gehen die Menschen dennoch regelmäßig auf die Straße, ob man das nun ein halbes oder ein Jahr lang nach dem Mord tut. Das ist schon ein Zeichen dafür, dass die Erinnerung wachgehalten wird.
Wie stellen sich die Arbeitsbedingungen von slowakischen JournalistInnen nach dem Mord an Ján Kuciak dar?
In all den Ländern, in denen es massive Hetze bis hin zu physischer Gewalt gegen Journalisten gibt, nimmt deren Einschüchterung zu. Umso mehr müssen wir fordern, dass die staatlichen Behörden Journalisten schützen. Das trifft auch auf Deutschland zu, wo Journalisten bei Pegida- und AfD-Demos angegriffen werden. Schlimmer als bei uns ist es derzeit in Frankreich, wo Teile der Gelbwestenbewegung Journalisten angreifen, die nicht in ihrem Sinne berichten.
ist seit der Gründung 1994 Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen.
Noch einmal nachgefragt: Haben sich die Arbeitsbedingungen für Journalisten in der Slowakei nach dem Mord an Ján Kuciak verbessert, weil eben das öffentliche Interesse da war?
In dem Land gibt es eine Frontstellung: Es gibt Leute, die Berichterstattung verhindern wollen, vor allem die von investigativen Journalisten, und es gibt Journalisten, die dagegen protestieren und weitermachen. Es ist schwer zu sagen, wer sich nun einschüchtern lässt und wer nicht. Es gibt aber weiterhin genug Kollegen, die sich bestärkt fühlen, wenn andere Länder dorthin gucken, wenn die EU dorthin guckt, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen wie wir immer wieder nachhaken und Aufklärung fordern.
Dass Journalisten wegen ihrer Berichterstattung bedroht werden, ja sogar Morde an ihnen verübt werden, ist inzwischen auch in den Staaten der EU gängige Praxis?
Die Einschläge kommen näher, sagen wir manchmal bei Reporter ohne Grenzen. Wir hätten uns vor zwanzig Jahren, als wir uns mit den Anschlägen der ETA oder der italienischen Mafia auf Journalisten beschäftigten, nicht träumen lassen, dass sich diese Bedrohung durch Oligarchen und mafiöse Organisationen in Verflechtung mit staatlichen Funktionsträgern in Ost- und Südosteuropa derart ausweitet. Trotzdem: Hetze gegen Journalisten gibt es überall dort, wo der Populismus zunimmt, und das geht bis hin zu den Gelbwesten in Frankreich.
Tut Brüssel zu wenig für den Schutz seiner Journalisten, gerade auch hinsichtlich der bevorstehenden Europawahl?
Auch Reporter ohne Grenzen würde sich wünschen, dass Brüssel mehr Durchgriffsmöglichkeiten hätte. Aber wir alle wissen, wie die EU-Verträge aussehen und dass es sehr schwierig ist, gegen den Widerstand von einzelnen in der EU stimmberechtigten Regierungen effektiv vorzugehen. Solange sich die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Polen dagegen wehren, dass die EU ihre menschenrechtlichen Standards und die Pressefreiheit durchsetzt, wird es der Europäischen Union sehr schwerfallen, wirksam dagegen vorzugehen.
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