Reportage aus einer CDU-Hochburg im Ländle: Das schwarze Paradies
Im baden-württembergischen Grundsheim haben 81,9 Prozent für die CDU gestimmt. Selbst hier finden die Dorfbewohner erneuerbare Energie nicht mehr befremdlich.
GRUNDSHEIM taz | Die Sache mit dem Biber ist heikel. Seit einiger Zeit fühlt sich das hierzulande fast ausgestorbene Tier im Reutibach am Rande von Grundsheim wieder heimisch. Das könnte ein Grund zur Freude sein. Aber so ein Biber, der baut sich auch schon mal einen schönen Damm - und dann staut sich das Wasser, bis so mancher Keller im Dorf vollläuft. Der Biber: ein Symbol für die Ambivalenz von Naturschutz und Tradition. Gerade in Grundsheim.
Grundsheim, zwischen sanften Hügeln im schwäbischen Alb-Donau-Kreis gelegen, hat es in letzter Zeit zu einer gewissen Prominenz gebracht. Die eigenständige 200-Seelen-Gemeinde darf als das "schwärzeste Dorf Baden-Württembergs" gelten, denn in Grundsheim hat die CDU bei der Landtagswahl Ende März ihr bestes Ergebnis eingefahren: 81,9 Prozent.
Die Christlich Demokratische Union schmierte landesweit enorm ab, verlor nach Jahrzehnten den fest gebuchten Ministerpräsidentenstuhl. An Grundsheim lag das nicht, denn hier legte die CDU im Vergleich zur letzten Wahl 2006 (79 Prozent!) sogar noch zu. Im Jahr 1976 waren es schon einmal 99,2 Prozent der Stimmen. Wie kommt das, warum hier? Bricht nun angesichts einer grün-roten Landesregierung in Grundsheim die Welt zusammen? Und was hat das mit dem Biber zu tun?
Die CDU stellt in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten seit dem 7. Oktober 1953, seit Gebhard Müller. Von 1972 bis 1988 erreichte sie die absolute Mehrheit und regierte Baden-Württemberg alleine. Ansonsten in einer Koalition mit der FDP – und nur einmal in einer Großen Koalition mit der SPD (1992 bis 1996). Der Landesverband ist mit 72.808 Mitgliedern der zweitgrößte in Deutschland nach der CDU in Nordrhein-Westfalen (160.000 Mitglieder). Doch am 27. März verlor die CDU (39 Prozent) bei der Land- tagswahl die Regierung an eine Koalition aus Grünen (24,2 Pro- zent) und SPD (23,1 Prozent). Damit bekommt Baden-Württem- berg erstmals einen grünen Ministerpräsidenten: Winfried Kretsch- mann. Der noch amtierende Ministerpräsident Stefan Mappus, der während der Legislaturperiode Günther Oettinger ablöste, gab jetzt den Parteivorsitz ab. (tok)
In der Kirche von Grundsheim macht eine Endvierzigerin sauber. Mit ordentlich viel Wasser und Putzmittel reinigt sie die Kirchenbänke des Gotteshauses aus dem Jahr 1723. Es ist ein prächtiger Barockbau. Die Kirche war den Grundsheimern immer wichtig - bis heute. Zwanzig Messdiener habe die Gemeinde noch, erzählt stolz die Frau, das sind rund ein Zehntel aller Seelen im Dorf. Etwa 95 Prozent der Dorfbewohner sind katholisch.
Wie viele Grundsheimer kramt die Gläubige dem Besucher aus dem Norden zuliebe ihr Hochdeutsch aus. Ihre Tochter, erzählt sie treuherzig, habe ihr geraten, CDU zu wählen. Denn: "Wenn die Grünen drankommen, kann ich meinen Job verlieren." Die Grünen seien nämlich gegen das Flurbereinigungsamt, wo die Tochter arbeite. Überhaupt, die Grünen, denen sollte man auf die Gosch geben, wenn die bloß blöd schwätze täte.
Kein "Stadtschnösel, wo net aufs Land passe".
Der Wahltriumph für die CDU hat, das sagen hier fast alle, mit deren Spitzenkandidat Karl Traub zu tun. Der 69-jährige Landwirt aus dem nahen Ort Hausen hat den Wahlkreis Ehingen, zu dem Grundsheim gehört, furios mit 51 Prozent gewonnen, es war das beste CDU-Wahlkreis-Ergebnis landesweit. Der Traub, sagt die putzende Katholikin, sei keiner dieser "Stadtschnösel, wo net aufs Land passe". Die fleißige Frau hat auch eine Vermutung, woher im Dorf wohl die vier Grünen-Wählerstimmen kämen: Da gebe es das Lehrerehepaar, das sich für den Biber eingesetzt habe. Die hätten "Händel" mit den Nachbarn bekommen.
Gleich gegenüber der Kirche gibt es einen Spielplatz. Er ist im Wesentlichen, was vom Dorfkern übrig geblieben ist. Einen Bäcker, Metzger, überhaupt einen Laden oder eine Gastwirtschaft, das gibt es in Grundsheim nicht mehr. Ohne Auto läuft nichts. Ein kleines Plakat wirbt hier für das Konzert "Rock meets Dirndl" in Oberdischingen.
Die Grünen als Meckerpartei
Mit schleppendem Gang schiebt eine alte Frau mit buntem Kopftuch ihr Enkelkind im Kinderwagen zum Spielplatz. Früher sei sie Landwirtin gewesen, erzählt die 77-Jährige, aber "das hat ja keinen Wert mehr". "Selbstverständlich" habe sie CDU gewählt, "die Alten wählen alle CDU", denn: "Mit dene ist man halt zufrieden." Die Grünen würden vor allem rummeckern. Jetzt dürfe man schon nicht mehr die Kühe anbinden, "das ist ja'n Witz." Und was die Grünen alles vorhätten! "Wenn der letzte Bauer weg ist, kommt die große Hungersnot", mahnt sie.
Alfons Harscher ist gleich neben dem Spielplatz unter einem Auto zugange. Der Kfz-Meister hat eine große Autowerkstatt - und dass gerade sie im Zentrum des Dorfes steht, sagt viel.
"Ja, freilich" habe auch er CDU gewählt, sagt der 56-Jährige. Andererseits sei es "höchste Zeit" gewesen, dass es mal einen Wechsel an der Landesregierung gegeben habe. Nun müsse man eben schauen, was die Grünen so leisteten: "Denen muss man erst mal 'n bisschen die Flügel stutzen", meint er. Klar, man könne natürlich Elektroautos fördern. "Aber wichtiger wär's, dass sich's Schaffe mal wieder lohne tät", sagt er.
Neben dem Spielplatz steht das Haus der Familie Chosen. Es ist unverputzt, was für schwäbische Verhältnisse sehr ungewöhnlich ist - und an einem Mast davor weht sogar die schwedische Fahne. Susanna Chosen steht mit Töchterchen Kim Melodie auf dem Arm darunter, ihr Mann kommt aus Schweden.
Das "große Miteinander" im Dorf
Der Name Chosen ist angenommen, er beruht auf dem englischen Wort für "erwählt": Die Chosens gehören mit ihren drei kleinen Kindern zur evangelikalen Gemeinde in Illertissen. Die 37-Jährige schwärmt vom "großen Miteinander" im Dorf. Vielleicht ist das ja ein Teil der Erklärung, warum man hier das wählt, was man schon immer gewählt hat. Susannas Mann Markus meint: Die Leute im Dorf glaubten eben an Gott und wollten durch ihre Wahl Angela Merkel und die CDU unterstützen. Als deutscher Staatsbürger würde er sicher auch die Christdemokraten wählen, sagt Markus Chosen, denn "die glauben an Gott".
Die direkte Nachbarin der Chosens, Maria Mayer, mistet gerade den Stall aus. Seit 1713 bewirtschaftet die Familie Mayer diesen alten Hof. Maria Mayers Mann und Sohn gehören zu den zwei, drei Vollerwerbsbauern in Grundsheim, der Hof hat zweihundert Muttersauen. Maria Mayer arbeitet auch als Krankenschwester. Sie habe CDU gewählt, weil der Noch-CDU-Ministerpräsident Mappus auf sie "positiver gewirkt" habe, sagt sie.
Reinhard Bauhofer ist der Leiter der Bauhofer Mühle im Ort. Sie wurde erstmals 1656 erwähnt, aber klapperte wohl schon im 9. Jahrhundert hier. Der Müllermeister repariert gerade mit einem Mitarbeiter eine Maschine, die Hände sind ölig. Er habe CDU gewählt, weil sie immer "fürs Handwerk" war.
Hier würden Weizen, Dinkel und Roggen gemahlen, das brauche viel Strom - ein möglicher Strompreisanstieg nach einer Abschaltung der Atomkraftwerke könnte seinen Betrieb treffen, sagt Bauhofer. Auch der massive Maisanbau für Biogasanlagen in der Gegend macht ihm Sorgen. Denn der Mais sei nicht zu mahlen, Weizen schon, müsse aber von fern herangeschafft werden. Andererseits, das Energiespar-Engagement der Grünen gefalle ihm. Nur die Sache mit dem Biber nicht. Aber ist es nicht ökologisch toll, einen Biber am Dorfrand zu haben? "Dann nehmen Sie ihn doch mit nach Frankfurt!", ruft er lachend.
Die Furcht vor teurem Benzin
Hildegunde Kosziol sieht die religiöse Prägung des Dorfes als Hauptgrund für das CDU-Rekordergebnis: "Das C in der CDU wird wohl den Ausschlag geben." Die 51-Jährige, von allen nur "Gundi" gerufen, ist Vorsitzende des Kirchengemeinderates. Sie hat am Wahlsonntag bei der Auszählung der Stimmen geholfen und erzählt, bei der "Wahlvesper" sei die Stimmung angesichts des grün-roten Triumphs schon "etwas gedrückt" gewesen. Auch sie befürchtet höhere Benzinkosten. Die Kosziols haben vier erwachsene Kinder und fünf Autos - ohne die wäre man hier "total aufgeschmissen".
Die Strecke Berlin-Grundsheim schafft man mit Bahn und Bus bestenfalls in knapp siebeneinhalb Stunden mit dreifachem Umsteigen - den letzten Bus muss man einen Tag vorher telefonisch vorbestellen. Man könnte Grundsheim als ein durchaus grünes Dorf begreifen, schaut man nur auf die vielen Solardächer im Ort. Für deren Installation, sagt der ehrenamtliche Bürgermeister Uwe Handgrätinger, "nimmt man gern das Sparbuch her" - und das will in Schwaben schon was heißen.
Ein schwarzes Loch?
Der 47-jährige Bürgermeister, der seit einem Vierteljahrhundert das Amt innehat, ist deutlich darum bemüht, seinen Ort nicht als schwarzes Loch porträtiert zu sehen - das sei "völliger Käse". Schließlich habe man doch die Biogas-, die Hackschnitzel- und die Photovoltaikanlagen, alles irgendwie Grün, oder? Und auch die 82 Prozent CDU-Wähler wären eigentlich für die Abschaltung der Kernkraftwerke, meint er - tatsächlich hört man dies im Dorf häufiger. Außerdem wolle man auch keinen Gen-Mais in der Gegend haben.
Die kommende grün-rote Landesregierung sieht der Bürgermeister des schwarzen Dorfes relativ gelassen. Den grünen Landesvater in spe, Winfried Kretschmann, kann er sich als Ministerpräsidenten ganz gut vorstellen: "Ich traue es ihm zu." Wahrscheinlich müssen auch grüne Revolutionen erst in Dörfern wie Grundsheim angekommen sein, um unumkehrbar, besser: nachhaltig zu sein.
Endlich ist das Ehepaar zurück, von dem einige vermuteten, es könne grün gewählt haben. Die pensionierte Lehrerin sagt: Dass die CDU hier in Grundsheim Rekordergebnisse einfährt, das sei schon zu Hans Filbingers Zeiten so gewesen. Der frühere Nazirichter und spätere CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs habe einst versprochen, Grundsheim mal zu besuchen, aber "er kam nur bis Oberstadion", dem Nachbarort. Und, fügt sie noch bittersüß hinzu, "es ist doch schön, wenn ein Dorf sich einig ist".
Der Biber von Grundsheim kann wahrscheinlich froh um diese Familie sein. Auch wenn sie nicht mal grün gewählt hat.
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