: Reparationen für 500 Jahre Sklaverei
Beim „BUKO-Gegengipfel“ in Münster steht nicht der „Osten“, sondern der „Süden“ im Mittelpunkt ■ Aus Münster Thomas Dreger
Während sich die Gäste Jürgen Möllemanns im Friedenssaal des münsterschen Rathauses trafen, debattierten Samstag und Sonntag rund 70 Delegierte aus Lateinamerika, Afrika, den USA und der Bundesrepublik in den Räumen der Katholischen Studentengemeinde an der Peripherie der Stadt. Der „Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen“ (BUKO) hatte unter dem Titel „Reparationen für Sklaverei, Kolonialismus und Verlust kultureller Identität?!“ zum Gegengipfel geladen. Auf 2.000 Milliarden US-Dollar Entschädigung für „500 Jahre Sklaverei und Ausbeutung“ sollen nach Berechnungen des nigerianischen Journalisten Chinweizu die Völker Afrikas und „Afrikaner in der Diaspora“ Anspruch haben.
Der Bonner Botschafter Namibias, Joseph Jimmy kündigte in Münster an, seine Regierung werde bei der Bundesregierung Entschädigung für die Massaker an Hereros verlangen.
Deutsche Kolonalisten metzelten 1904 in der damaligen Kolonie 80.000 Angehörige des Afrikanerstammes nieder. Ansprüche gegenüber der Bundesrepublik sowie gegenüber der chilenischen Regierung machte auch die aus Chile angereiste Mapuche-Indianerin Rayen Kvyeh geltend. Die im Süden Argentiniens und Chiles lebenden Indianer konnten sich drei Jahrhunderte lang erfolgreich gegen die Unterwerfung durch die spanischen Kolonialherren wehren. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts gelang es den Armeen Chiles und Argentiniens, den Widerstand der Mapuche zu brechen. Die von der chilenischen Regierung um die Jahrhundertwende in der Mapuche-Region angesiedelten Bauern stammten laut Rayen Kvyeh zumeist aus Deutschland.
Für die Forderungen fehlten in Münster allerdings die Adressaten. Der eingeladene Vertreter des Auswärtigen Amtes hatte kurzfristig abgesagt. In einem Schreiben des Außenministeriums hieß es, die Bundesregierung sei der Ansicht, daß „zukunfts- und bedarfsorientierte Hilfe“ sinnvoller sei, „als die Erfüllung pauschaler Forderungen nach Wiedergutmachung“. Desweiteren verwies das Ministerium auf die Entwicklungshilfe der Bundesregierung und die Spendenfreudigkeit ihrer Bürger. Entwicklungshilfe lehnte die Indianerin Rayen Kvyeh jedoch ausdrücklich ab. An die Teilnehmer des Möllemann-Gipfels gerichtet, beklagte sie, daß diese über Entwicklungsprojekte entschieden, „ohne die betroffenen Völker zu fragen.“
In dieser Äußerung spiegelte sich die Schwierigkeit der BUKO-Tagung als „Gegengipfel“. Während bei Möllemann über Wirtschaftsperspektiven und Geschäfte im Osten verhandelt wurde, artikulierte sich beim BUKO-Kongreß die Angst des Südens, ganz von der wirtschaftspolitischen Landkarte zu verschwinden.
Ähnliches wurde auch auf der bundesweiten Demonstration gegen den Möllemanngipfel am Samstag formuliert. Rund 2.000 Teilnehmer marschierten unter dem Motto „Sie organisieren die Armut der Völker“ Richtung Prinzipalmarkt. Statt vom Osten war in den Demo-Reden zumeist von Kurden oder den Völkern Lateinamerikas und Afrikas die Rede. Die grüne Europaparlamentarierin Claudia Roth zitierte „Ton Steine Scherben“ („Gibt es ein Land, in dem der Traum Wirklichkeit ist?“) und Autonome buhten das Karstadt- Gebäude aus. Besonderen Anklang unter ihnen fand die Rede des Teilnehmers des BUKO-Kongresses, Akinyele Omoja. Der Sprecher der US-amerikanischen „New Afrikan Peoples Oraganization“ (NAPO) fordert einen eigenen Staat der Schwarzen im Süden der USA. Angesichts der jüngsten Rassenunruhen skandierte er: „Fight the Power. Fight the Police!“
Pfiffe erntete Andreas Vogel vom Bündnis gegen den Weltwirtschaftsgipfel. Das frühere Mitglied der „Bewegung zweiter Juni“, das sich als „ehemaliger politischer Gefangener“ vorstellte, forderte angesichts der weltpolitischen Veränderungen und der jüngsten Absage der RAF an den bewaffneten Kampf, alte Ideologien und Strategien „auf den Mist“ zu werfen. Solche Worte paßten nicht in das geschlossene Weltbild vieler Vermummter, die mit Ulrike- Meinhof-Bildnissen angereist waren, um den sechzehnten Todestag der RAF-Gründerin zu begehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen