: Religion ist Zyankali fürs Volk
Der US-Fernsehfilm „Das Guyana Massaker“ um 23.05 Uhr auf Pro7 ■ Von Manfred Riepe
943 Menschen buchten am 19.11.1978 unter dem verhängnisvollen Einfluß des Sektenführers Jim Jones (un-?)freiwillig die Rückreise in den anorganischen Zustand, das Nirwana. William A. Grahams von 192 auf 93 Minuten gekürzter TV- Film Guyana Tragedy: The Story of Jim Jones aus dem Jahr 1980 zeichnet die Geschichte des autodidaktischen Eschatologen Jones nach. Im Gegensatz zu dem Inder Bhagwan, der den Überdruß einer luxusverwöhnten Oberschicht zur trivial-metaphysischen Sinnsuche umpolte, hat Reverend Jones gezielt die ärmsten der Armen rekrutiert.
Weil er Rassismus ignorierte und Schwarze zum Gottesdienst bat, wurde Jones 1950 aus der staatlichen Kirche entlassen und machte seinen eigenen Laden auf: den „People's Temple“. Vom besessenen Hardcore-Prayer, der anfangs schwarzen Drogensüchtigen, die zum Teil nie mit einem Weißen gesprochen hatten, tatsächlich eine Stütze war, entwickelte Jones sich rasch zum schlitzäugigen Salvation-Showmaster mit inszenierten Heilungen durch Handauflegen. Bei den Linken von San Franzisko war Jones beliebt, weil er jederzeit 3.000 Demonstranten auf die Straße bringen konnte. Gute Kontakte zum Bürgermeister von L.A. und Frisko sowie zu Senator Mondale zählten zu seinem Repertoire. Er zog sogar mit Jimmy Carters Ehefrau in den Wahlkampf.
Als der Druck der Öffentlichkeit gegen den Seelendiktator und seine damals schon umstrittendste Glaubensgemeinschaft Amerikas wuchs, begann im Frühjahr 1974 der Massenexodus nach Georgetown, Guyana. Auf von Mittelsmännern erworbenem Gelände wurde dort ein Arbeitslager im Dschungel errichtet. Die Volksrepublik Guyana duldete dank ordentlicher Bestechungsgelder Jones Privatarmee. Mit alptraumhaften Bestrafungsriten — Missetäter mußten einem Boxer gegenübertreten, um sich k.o. Schlagen zu lassen — hielt der Demagoge seine Anhänger in Schach. Frauen machte sich der paranoide Sexmaniac mit Drogen gefügig.
Jones, die „Wiedergeburt von Jesus, Buddha und Lenin“, wollte eine „klassenlose Gesellschaft nach dem Prinzip des reinen Marxismus bilden, aber mit einer religiösen Basis“. Nachdem jedoch der Tatverdacht der Gehirnwäsche und illegaler Finanztransaktionen erwiesen war, reiste der US-Senator Leo J. Wine nach „Jonestown“, wo man seinen mitgekommenen Kameramännern eine einträchtige Harmonie vorgaukelte. Als auf Wines Einladung einige Gläubige desertierten, um unter dem Geleitschutz des Politikers in die Vereinigten Staaten zu entkommen, begann das Massaker, zunächst auf der Dschungelpiste vor dem Flugzeug.
Der Senator und seine Begleiter starben im Kugelhagel. „Kameramann Bob Brown filmte die Attacke so lange, bis ihm einer der langsam näher kommenden Angreifer aus ein paar Zentimetern Entfernung direkt ins Gesicht schoß. Sein Hirn spritzte über die Kamera. Es müssen fünf oder sechs Bewaffnete gewesen sein“, so einer der Augenzeugen des Massakers. Um der Schließung seines Ladens zuvorzukommen, ließ Jones mit Limonade und Valium vermischtes Zyankali an die Gläubigen verteilen. Kinder erhielten eine Spritze in den Mund. Die überwiegende Mehrheit der Opfer waren Schwarze. Der Massenselbstmord war präzise eingedrillt worden.
Wenn Amerikaner andere Amerikaner in einem fremden Land ermorden, dann geht das in Amerika keinen amerikanischen Richter etwas an. Folglich hat es nie eine Untersuchungskommission gegeben. Der gekürzte Film Das Guyana Massaker vermittelt von dieser Faktenflut einen ersten Eindruck. Die Darstellung der Verführungsmechanismen durch den Schauspieler Boothe Powers (Jones) überzeugt nicht immer. Die Rechtfertigungsmechanismen der Untergebenen sowie die Brutalität der Bestrafungen werden nur angedeutet. Dennoch ein achtbarer Versuch, sich dem Thema ohne spekulative Exploitation zu nähern.
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