Rekommunalisierung der Energieversorgung: Bürger wollen ins Netz
Eine Initiative verlangt die Rekommunalisierung der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze. Sie will ein Volksbegehren starten, falls die Politik nicht mitmacht.
Der Satz ist eine Drohung: "Wenn die Politik nicht handelt, können wir auch ein Volksbegehren starten", sagt Stefan Taschner von der Initiative BürgerBegehren Klimaschutz bei einer Diskussion über die Zukunft der Energieversorgung am Dienstagabend im Haus der Demokratie. Ein Volksbegehren, um zu erreichen, dass Berlins Energienetze, jetzt noch in der Hand privater Konzerne, von einem landeseigenen Unternehmen betrieben werden.
Der Zeitpunkt ist günstig: Ende 2013 läuft die aktuelle Konzession für den Betrieb des Gasnetzes aus, Ende 2014 die für Strom und Fernwärme. Derzeitige Betreiber sind die Gasag (Gas) sowie Vattenfall (Strom und Fernwärme). Tut das Land nichts, werden die Verträge verlängert. Will es die Netze neu ausschreiben oder selbst betreiben, muss es das zwei Jahre vorher ankündigen. Also im Fall des Stromnetzes, zu dem auch die Fernwärme gehört, noch in diesem Jahr.
"Momentan geht es darum, Druck auszuüben", sagt Stefan Taschner der taz. Bis zur Wahl des Abgeordnetenhauses im September werde man kein Volksbegehren einleiten. Es gelte zunächst zu schauen, wie sich die neue Regierung positioniere. "Wir wollen aber klarmachen, dass da jemand ist, der ein Auge darauf hat."
Bei der Netzdebatte geht es um die Infrastruktur, die Strom, Gas und Wärme transportiert. Mit Konzessionsverträgen betreiben Vattenfall (Strom, Fernwärme) und die Gasag (Gas) die Leitungen.
In zwei bzw. drei Jahren laufen die Verträge mit den Unternehmen aus. Die Verträge sind aber nicht mit Miet- oder Pachtverträgen zu vergleichen: Wenn der Betrieb an ein anderes Unternehmen geht - privat oder öffentlich -, muss dieses dem Vorbetreiber die Infrastruktur abkaufen. Will das Land die aktuelle Konzession nicht verlängern, hat es das zwei Jahre zuvor anzuzeigen.
36.000 Kilometer Stromkabel laufen unter Berlin entlang, 1.500 Kilometer Fernwärmeleitungen, beim Gas sind es 6.970 Kilometer. Zur Netz-Infrastruktur gehören aber auch Technik wie Transformatoren und Personal.
Wer Netze betreibt, kann von den durchleitenden Unternehmen "Netzentgelte" verlangen. Weil es pro Netzgebiet immer nur einen Betreiber gibt, muss die Bundesnetzagentur diese Entgelte genehmigen. Sie soll außerdem überwachen, dass alle die gleichen Chancen haben, Energie einzuspeisen.
SPD, Grüne und Linkspartei wollen, dass das Land auch selbst Energie erzeugt - mit eigenen Stadtwerken. Erneuerbar sollen die Energieträger sein - doch wie Produktion und Finanzierung genau aussehen könnten, da gehen die Meinungen auseinander. (sve)
Die Politik steht der Netzübernahme durch ein öffentliches Unternehmen gespalten gegenüber. CDU und FDP sehen die Idee kritisch. "Hände weg von den Strom- und Gasnetzen - keine Rekommunalisierung stark regulierter Infrastruktur!", überschrieb die FDP einen Antrag im Februar. Sie glaubt: Die Übernahme wird zu teuer für das Land, ohne den Verbrauchern Vorteile zu bringen.
Auf der anderen Seite stehen SPD und Linkspartei. Die Sozialdemokraten, die sich in ihrem Wahlprogramm für kommunale Unternehmen von Nahverkehr bis Energieversorgung aussprechen, sähen auch die Netze künftig gern in öffentlicher Hand. "Wir hoffen, einige Beteiligungen, die wir in den 90ern teilweise leichtfertig weggegeben haben, wiederzubekommen", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Jahnke, auf dem Podium im Haus der Demokratie. Ähnlich sieht es die Linke: "Wir brauchen einen bestimmten Einfluss des Landes auf die Netze, dann können wir die Energiewende schaffen", so Parteichef Klaus Lederer.
Doch was könnte das Land ändern? Viel Spielraum hat es nicht. Reguliert wird der Transport von Strom oder Gas über die Netze von der Bundesnetzagentur. Betreiber dürfen zum Beispiel weder einzelne Anbieter bevorzugen noch die Preise nach Gutdünken festlegen. Die Parteienvertreter auf dem Podium sind sich aber einig, dass ein öffentlicher Betreiber die Netze intelligenter gestalten könnte. "Smart Grids", in denen Speicher, Erzeuger und Verbraucher so miteinander verbunden sind, dass sie flexibel gesteuert werden können, gibt es momentan nur in der Pilotphase - für die Privaten rentiert sich der flächendeckende Ausbau derzeit nicht. Ein öffentliches Unternehmen könnte anders handeln.
Zu einer ökologischeren Versorgung der Kunden würde ein Netz in öffentlicher Hand aber nicht unbedingt führen: Wer den Anbieter von Strom nicht aktiv wechselt, bekommt ihn vom sogenannten Grundversorger. Laut Energiewirtschaftsgesetz ist das immer derjenige, der die meisten Haushalte beliefert. Alle drei Jahre wird festgestellt, wer das ist. Würden in Berlin also Stadtwerke aufgebaut, die Ökostrom produzierten, blieben die meisten Berliner weiterhin Vattenfall-Kunden. Dieses Problem und die Kosten sind die Hauptgründe, weshalb sich die Grünen noch uneinig sind, ob sie die Netze gerne in kommunaler Hand sähen oder eher nicht.
Überhaupt die Kosten: Gratis bekäme das Land die Netze nicht. Der neue Betreiber muss dem alten die Übernahme der Anlagen vergüten - und wie viel das ist, darüber gehen die Meinungen meist auseinander. Zahlen will niemand nennen. "Es gibt nicht einmal eine andere Kommune, mit der man Berlin vergleichen könnte", sagt Stefan Taschner von der Klimaschutz-Initiative. Nur: "Es wird teuer, das ist klar."
"Für so etwas kann durchaus ein Kredit aufgenommen werden", sagt SPD-Mann Jahnke. Die Ausgaben würden sich rentieren, da durch den Netzbetrieb ja wieder Einnahmen entstünden. "Mit dem Netz lässt sich immer Rendite erwirtschaften", weiß auch Taschner.
Für Unruhe sorgt in der Debatte eine als vertraulich deklarierte Vorlage, die am Mittwoch auf der Tagesordnung des Hauptausschusses im Abgeordnetenhaus steht: "Neuvergabe der Konzessionsverträge für die Gas- und die Elektrizitätsversorgung. Vergabe von Gutachten- und Beratungsdienstleistungsaufträgen" lautet Punkt 17. Was genau das bedeutet, will die Finanzverwaltung nicht erklären. Der Punkt werde verschoben, es müssten noch Feinheiten abgestimmt werden. Der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Jochen Esser, sagt, in der Vorlage habe es "keine einzige Zeile" gegeben, "die auf Rekommunalisierung hingedeutet hätte".
Bei der Diskussion am Dienstagabend einigen sich zumindest Grüne und Linkspartei auf einen ersten Schritt: Der energiepolitische Sprecher der Grünen, Michael Schäfer, schlägt vor, einen Antrag für eine Machbarkeitsstudie einzubringen. Die soll klären, welche Auswirkungen ein kommunales Netz hätte und was für eine Art von Stadtwerken für die Stadt sinnvoll wäre. Lederer nimmt das Angebot an - unter einer Bedingung: Zuerst müsse man den Koalitionspartner überzeugen.
Sollte die Initiative tatsächlich ein Volksbegehren starten und es im Anschluss zum Volksentscheid kommen, dürfte sie sich Hoffnungen machen, dass ihr Anliegen von Erfolg gekrönt wird. Im vergangenen Februar hatte es in Berlin erstmals eine Initiative geschafft, per Volksentscheid einen Gesetzentwurf durchzusetzen. Damals ging es um die Verträge zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe, die die offengelegt werden sollten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Pro und Contra
US-Präsident Biden hat seinen Sohn begnadigt – richtig so?