: Reise zum Mittelpunkt der Erde
■ Im Alpenvorland und in Mecklenburg-Vorpommern wird die Erdhitze als Energie genutzt / Geothermie ist in Deutschland nur an wenigen Stellen möglich
Heißes Wasser kommt keineswegs nur aus der Dusche, sondern durchaus auch aus der Erde. Die Geysire in Island oder die heißen Quellen Neuseelands sind berühmt, doch weit weniger bekannt sind die Wasservorkommen in Deutschland. Sie werden bislang kaum zur Fernwärme- und Energieerzeugung genutzt.
Zwar gewinnt die Diskussion über regenerative, also erneuerbare, Energien zunehmend an Bedeutung, doch die Geothermie wird selten mitgerechnet. Nur Solarenergie, Windkraft, Strom durch kleine Wasserwerke oder Biogas gelten als alternative Möglichkeiten der Wärme- und Stromerzeugung.
Dabei sollen allein in Neustadt- Glewe in Mecklenburg-Vorpommern „pro Jahr Kohlendioxid- Emissionen in Höhe von mehr als 7.000 Tonnen“ vermieden werden, wie Bundesforschungsminister Paul Krüger hofft. Über fünf Millionen Mark erhält die Geothermieanlage daher von seinem Ministerium, vom Baubeginn im September letzten Jahres bis Ende 1996: „Wir erwarten auch Erfahrungen für den künftigen Bau solcher Anlagen, insbesondere was die Wirtschaftlichkeit anbetrifft.“ Insgesamt wird das Projekt nach Krügers Angaben gut zehn Millionen Mark kosten.
„Das ist die Eintrittskarte in das Land der praktisch kostenlosen Wärmeerzeugung“, versichert die Westmecklenburgische Energieversorgung AG (Wemag), die das Erdwärme-Kraftwerk baut und das Fernwärmenetz betreiben wird. Geothermische Energie ist die natürliche Wärmeenergie der Erde, sie braucht nicht erzeugt zu werden. Zu 30 Prozent entsteht sie durch den glühenden Erdkern, zu 70 Prozent durch den Zerfall radioaktiver Isotope wie Uran und Thorium, die im Gestein des Erdmantels vorhanden sind.
Das Problem ist, daß eine nutzbare Hitze normalerweise erst sehr tief in der Erde zu finden ist. „Geothermische Anomalien“, also Besonderheiten der Erdwärme, sind nur selten zu finden. Wenn sich das im Gestein eingeschlossene Wasser überdurchschnittlich erhitzt und zudem einen natürlichen Zugang zur Oberfläche bahnt, lassen sich Phänomene wie Geysire oder heiße Quellen beobachten, die es in Deutschland aber nicht gibt. Eine Anomalie wurde jedoch bei Neustadt-Glewe bereits zu DDR-Zeiten entdeckt, als Probebohrungen eigentlich einheimische Ölquellen aufspüren sollten. Damals wurde das Projekt nicht weiterverfolgt, doch mittlerweile wird der oberflächennahe Heiß-Wasser-Fund als Glück für die Region angesehen. Denn die „Energieerzeugung ohne Kohlendioxid-Ausstoß, ohne Dreck und Lärmbelästigung“ ist nach Meinung von Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Lehment „geradezu lebenswichtig für den Fremdenverkehr“. Fast 700 Wohnungen sollen mit Fernwärme und Warmwasser versorgt werden, zudem ein ortsansässiges Lederwerk. Rund vier Millionen Mark gibt daher auch die Landesregierung dazu. Lehment: „Das Geld, denke ich, ist gut angelegt.“ Dieser Meinung ist auch der Bundesforschungsminister, der noch Innovationsgeist im Nordosten Deutschlands, seiner Heimat, vermißt: Nur sieben Prozent der von ihm zu verteilenden Fördermittel seien nach Mecklenburg-Vorpommern geflossen, bedauert er, es gebe kaum Patentanmeldungen: „Ein generelles Defizit unserer Forschungspolitik sind fehlende langfristige Zielorientierungen und Visionen.“ Ein möglicher Schwerpunkt ist nach seiner Ansicht die Umwelttechnologie.
In diesem Punkt ist er sich einig mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der die Erdwärmenutzung in Mecklenburg als eins von 41 vorbildlichen Energieprojekten in seiner Broschüre „Klimaschutz in Städten und Gemeinden“ lobt. Allerdings weist der BUND auch auf die Schwierigkeiten der Geothermie hin: „Die Oberfläche eines Bohrloches ist viel zu klein, um genügend Wasser für eine wirtschaftliche Lösung zu erwärmen.“ Eine sinnvolle Lösung gebe es nur dort, „wo der Untergrund porös ist, so daß Wasser aus einem Bohrloch entnommen und durch ein zweites wieder in den Untergrund verpreßt werden kann“.
Ähnliche Bodenbeschaffenheiten sind auch im Alpenvorland zu finden. Dort arbeiten zwei Geothermie-Kraftwerke in Erding und Straubing. Die Stadt und der Landkreis Erding haben sich zu einem Zweckverband zusammengeschlossen, um so das Projekt bewältigen zu können: Benachbarte Neubaugebiete werden mit einem Fernwärmenetz ausgestattet, das die Erdwärme nutzen soll. Weitere Abnehmer sollen ein Thermalbad, eine Kurklinik und das Kreiskrankenhaus sein. Etwas über 2 Millionen Mark zahlte davon inzwischen die Staatsregierung in Bayern. Im Gegenzug will der Zweckverband „nachweisen, daß der alternative Energiebereich Geothermie wirtschaftlich darstellbar ist, eingesetzte Steuergelder ökologisch wertvoll angelegt sind und darüber hinaus nach einem gewissen Zeitraum Erträge erwirtschaftet werden können“.
Das Nachbarprojekt in Straubing wird vor allem durch die EU gefördert. Die Bedeutung für den Umweltschutz lobt Werkdirektor Werner Jähn, der beim Symposium „Impulse für regenerative Energien in Bayern“ versicherte: „Bei der Ausnützung der Erdwärme können jährlich zirka 2.000 Rohöltonnen-Einheiten gespart werden.“ Christian Arns
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