Reinhard Loske über Klima und Wirtschaft: "Es geht um einen Kulturwandel"
Das ewige Mehr funktioniert nicht auf Dauer, sagt Bremens Umweltsenator Reinhard Loske. Er fordert eine Enquetekommission zur Neudefinition des deutschen Wirtschaftswachstums.
taz: Herr Loske, Sie sagen, um den Klimawandel zu bekämpfen, reiche es nicht, den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken. Stattdessen stellen Sie gleich unser Wirtschafts- und Lebensmodell in Frage. Was haben Sie gegen Wirtschaftswachstum?
Reinhard Loske: Wie viele andere Zeitgenossen mache ich mir Sorgen über einen gefährlichen Effekt. Manche Autos brauchen zwar weniger Benzin, aber wir haben immer mehr davon. Durch Dämmung sinkt der Energiebedarf der Häuser, aber die Wohnungen werden größer. Deswegen reicht es nicht, Klimaschutz auf Fragen der Technik zu begrenzen. Auch die Grünen machen diesen Fehler bei ihrem Konzept des Green New Deal. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist deutlich umfassender.
Können Sie sich eine Gesellschaft ohne Wachstum vorstellen?
Bis ins 18. Jahrhundert hinein kam die Menschheit im Wesentlichen ohne großes Wirtschaftswachstum aus. Trotzdem hat sie bedeutende Kulturleistungen hervorgebracht. Erst als die Menschen begannen, Kohle, Öl und Gas als Energielieferanten zu nutzen, raste die Entwicklung. Der Rückblick zeigt mir: Wachstum muss nicht im Mittelpunkt stehen. Künftig wird auch der Begriff des Schrumpfens wieder eine normale Kategorie sein.
Sich mehr leisten zu können, voranzukommen, sich zu entwickeln, macht Spaß. Ich freue mich auf die nächste große Reise nach Nordamerika. An welcher Stelle reduzieren Sie persönlich Ihre materiellen Bedürfnisse, anstatt sie zu steigern?
Dies ist ein Text aus der sonntaz, die am 5./6. Dezember erscheint – und sich komplett der Frage widmet: "Was macht uns glücklich?". Die taz mit einer glückstaz: Ab Samstag am Kiosk.
Ich selbst brauche gar nicht so viel. Meine Liebsten um mich herum, gute Gespräche, Bücher, Musik, lange Wanderungen mit dem Hund - und ich bin glücklich. Mein privater Lebensstil ist nicht besonders materialintensiv. Das Haus ist gut gedämmt. Wir haben eine Solaranlage auf dem Dach. Ich fahre mit dem Rad ins Büro. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mache das nicht, weil ich den guten Menschen geben will. Es funktioniert einfach gut so.
Auch Sie fliegen vermutlich viel durch die Gegend und kaufen ein, was sie brauchen, ohne sich großartig zu beschränken. Muss künftig jeder von uns mit einer kleineren Wohnung, weniger Reisen und geringerem Konsum zurechtkommen?
Ich glaube, Politiker sollten nicht versuchen, den Bürgern einen Lebensstil vorzuschreiben. Unsere Aufgabe ist es, einen gangbaren und glaubwürdigen Weg zu suchen, wie wir als Gesellschaft unseren Kohlendioxidausstoß bis 2050 auf nahe null reduzieren können. Dazu braucht man bestimmte ökonomische Voraussetzungen - etwa gerecht verteilte Emissionszertifikate, einen hohen Preis für CO2 und die Pflege der öffentlichen Güter. Wie sich die Menschen in diesem Rahmen bewegen, soll man ihnen aber bitte selbst überlassen.
Sie weichen der Antwort aus.
Nein, ich bin aber dagegen, das Problem zu individualisieren. Klar kann man in einem Nullenergiehaus wohnen, sein Auto abschaffen, Carsharing betreiben und langlebige Produkte kaufen, die man nicht alle paar Jahre wegwerfen muss. Aber das ist nicht der primäre Punkt. Es geht hier nicht um persönlichen Verzicht, sondern um einen gesellschaftlichen Kulturwandel.
Über Verzicht reden Politiker nicht gerne. Sie befürchten, das schade ihrer Attraktivität in den Augen der Wähler.
Da bin ich anderer Meinung. Viele Leute haben schon verstanden, dass das ewige Mehr auf Dauer nicht funktioniert. Das spiegelt sich auch in Umfragen: In vielen Industrieländern nimmt die Zufriedenheit der Menschen trotz steigenden materiellen Wohlstands nicht mehr zu. Die Frage ist, wie ich als Politiker darauf reagiere. Beispielsweise kann ich den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und günstige Parkplätze für Carsharing-Autos in der Innenstadt von Bremen anbieten. Ein Höchstmaß an Zufriedenheit mit einem Mindestmaß an Ressourcenverbrauch zu erreichen - das sollte das Ziel sein.
Um den Kulturwandel zu befördern, schlagen Sie nun vor, im Bundestag eine Enquetekomission zum Verhältnis von Klimawandel und Wirtschaftswachstum einzusetzen. Was soll dieses Gremium bewirken?
Wir brauchen dringend neue Methoden, um unseren Wohlstand zu messen. Die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts reicht nicht mehr aus. Der Wert von sauberem Wasser, guter Luft, biologischer Vielfalt und einem stabilen Klima fällt dabei unter den Tisch. Und wir müssen uns eingestehen, dass die bloße quantitative Zunahme der Produktion keinen Sinn mehr hat. Im Gegenteil - das Festhalten an ihr schafft neue Probleme. Wir müssen lernen, zwischen produktivem und destruktivem Wachstum zu unterscheiden.
Der Zwang zum Wachstum ist aber ein fundamentaler Bestandteil unseres Wirtschaftssystems. Um den notwendigen Gewinn zu erzielen, müssen Unternehmen mit ihrem nächsten Geschäft immer mehr Geld erwirtschaften als mit dem vorangegangenen. Wie wollen Sie diesen ewigen Druck zum Mehr mildern?
Ich weiß es nicht genau. An die Antworten tasten wir uns allmählich heran. Auch das zu untersuchen, wäre eine Aufgabe der Enquetekommission. Jedenfalls kann es nicht in unser aller Sinn sein, wenn Unternehmen auf Dauer eine Rendite von 25 Prozent anstreben. Grundsätzlich gilt, dass Personengesellschaften, Stiftungsunternehmen, genossenschaftliche und öffentliche Betriebe einem deutlich geringeren Wachstumszwang unterliegen als Kapitalgesellschaften.
Als Bremer Senator für Umwelt, Bau und Verkehr leiten Sie den Aufsichtsrat der Wohnungsgesellschaft Gewoba, die zu drei Vierteln der Stadt Bremen gehört und mit 40.000 Wohnungen eine Bilanzsumme von 950 Millionen Euro aufweist. Liegt die Zukunft in solchen gemischten Eigentumsformen, bei denen Privataktionäre, aber auch der Staat und andere Interessengruppen ein Wörtchen mitzureden haben?
Wenn verschiedene Interessen im Aufsichtsrat eines Unternehmens vertreten sind, kann dadurch der Renditedruck sinken. Bei der Gewoba streben wir jedenfalls einen Kompromiss an. Die Eigentümer erhalten einen moderaten Profit, aber auch Bremen als Ganzes muss profitieren. Wir nennen das "Stadtrendite". Dazu gehören Investitionen in die ökologische Modernisierung der Gebäude und das Wohnumfeld.
Andererseits resultiert der Wachstumszwang auch daraus, dass die steigende Produktivität dauernd Arbeitsplätze frisst, weshalb mehr Autos, mehr Handys und mehr iPods hergestellt werden müssen, um die wegrationalisierten Jobs durch neue zu ersetzen.
Oder man verteilt die Arbeit auf mehr Menschen.
Dann verdienen die Beschäftigten weniger. Wer will das schon?
Vielleicht käme man mit weniger Geld aus, wenn die Produkte länger als zwei Jahre hielten. Aber ich weiß, solche Antworten sind heikel. Deshalb schlage ich vor, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen und Lösungen suchen.
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