Reiche sorgen sich um Materielles: Das Schickedanz-Syndrom
Auch Reiche sind nicht sorgenfrei - viele haben Angst vor dem sozialen Abstieg, obwohl sie immer wohlhabender werden. Woher kommen also diese Befürchtungen?
Es ist ein extremer Fall, deswegen war der Aufschrei auch so groß: Als die Karstadt-Erbin Madeleine Schickedanz in einem Interview kundtat, sie würde nur noch von 500 bis 600 Euro leben, wurde sie stark kritisiert. Denn bisher sind ihr diverse Villen geblieben, dennoch macht sich die einstige Milliardärin Sorgen, sie könnte "alles verlieren", wenn Arcandor liquidiert wird.
Nun ist die Geschichte der Madeleine Schickedanz besonders dramatisch, da sie noch vor wenigen Jahren glaubte, sie würde 3 Milliarden Euro besitzen. Doch ist sie kein Einzelfall, denn fast alle Reichen in Deutschland scheinen an einem "Schickedanz-Syndrom" zu leiden. Jedenfalls ist ein seltsames Phänomen zu beobachten: Objektiv nimmt der Reichtum zu, doch subjektiv sorgen sich immer mehr Reiche um ihre materielle Zukunft.
Dieses "Schickedanz-Syndrom" hat nun das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) näher untersucht. Als reich wurde dabei eingestuft, wer mehr als das Doppelte des mittleren Nettoeinkommens verdient. Im vergangenen Jahr waren dies 2.600 Euro monatlich für einen Single; bei Familien steigt das notwendige Einkommen natürlich, um noch als reich zu gelten. Nach dieser Definition zählen inzwischen 7 Prozent der Deutschen als reich - doch nur 1 Prozent sei "sorgenfrei reich". Die meisten Spitzenverdiener hingegen waren in den vergangenen fünf Jahren zumindest zeitweise beunruhigt, sobald sie an ihre wirtschaftliche Zukunft dachten.
Offenbar hat der soziale Stress enorm zugenommen, wenn selbst Reiche Abstiegsängste haben, obwohl sie immer wohlhabender werden. Diese Unruhe lässt sich auch daran ablesen, wo sich die wenigen Reichen noch sammeln, die nie unter materiellen Sorgen leiden: Es handelt sich vor allem um Beamte oder pensionierte Beamte in sehr hohen Positionen.
Der typische Steckbrief dieser "sorgenfreien Reichen" im Staatsdienst liest sich wie folgt: Sie sind hochgebildet, knapp 55 Jahre alt, wohnen in Westdeutschland, besitzen ein Eigenheim und leben als Paar zusammen. Die Kinder sind schon aus dem Haus. Ihr Vermögen liegt im Durchschnitt bei fast 400.000 Euro, während der gesamtdeutsche Mittelwert nur rund 60.000 Euro beträgt.
Bei der Vergleichsgruppe der "besorgten Reichen", wie sie das DIW nennt, fällt der Steckbrief zunächst ähnlich aus. Auch sie verfügen über eine hervorragende Bildung und große Vermögen, aber sie arbeiten nur selten beim Staat. Unter den Ängstlichen sind ganze 6 Prozent Beamte und insgesamt 26 Prozent im öffentlichen Dienst tätig. Stattdessen werden vor allem Selbstständige und mittlere Angestellte von Abstiegssorgen geplagt.
Beamte selbst neigen gern dazu, sich als chronisch unterbezahlt zu empfinden. Tatsächlich gehören sie zu den absolut Privilegierten dieser Nation, denn sie werden nicht nur materiell, sondern auch psychisch abgesichert.
Dies zeigt sich auch, wenn man als Vergleichsgruppe die "nichtreichen Sorgenfreien" heranzieht. Denn das gibt es ja auch: Menschen, die keine Abstiegsängste haben, obwohl sie nicht zu den Spitzenverdienern gehören. Auch hier dominieren die Staatsdiener.
Wer sich keine Sorgen machen muss, ist psychisch gesünder. Das würde schon der Alltagsverstand erwarten, wurde aber vom DIW nochmals bestätigt. Die "sorglosen Reichen" seien besonders kreativ und deutlich weniger neurotisch als die Gesamtbevölkerung. Die "besorgten Reichen" hingegen seien zwar auch sehr kreativ, aber würden schon genauso oft neurotische Züge aufweisen wie der Normalbürger - und seien noch weniger sozial verträglich.
Die DIW-Studie übt einen eigenartigen Sog aus: Je länger man liest, desto größer wird das Mitleid mit den "besorgten Reichen". Dem Autor scheint es ähnlich ergangen zu sein. Denn im Fazit steht ein Satz, der sich nur denken lässt, wenn man sich vorher große Sorgen um seine reichen Mitbürger gemacht hat: Beruhigend wird dort festgestellt, für den Staat bestehe "sicherlich kein sozialpolitischer Handlungsbedarf".
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