■ Rehabilitierung: Kein Persilschein
Seit Jahren kämpfen die etwa 300 heute noch lebenden Deserteure der deutschen Wehrmacht um ihre Rehabilitierung. Auch in diesem Sommer konnte sich der Bundestag nicht dazu entschließen, die einschlägigen Urteile der NS-Militärjustiz generell für Unrecht zu erklären. Nach dem Beschluß des Bundesrates vom 18. Oktober 1996 zugunsten einer Rehabilitierung dürfte es aber für die traditionell gegen einen solchen Schritt kämpfenden Konservativen schwerer werden.
Die Gegner befürchten nicht nur eine moralische Schwächung der Bundeswehr, sondern auch eine Diskriminierung von Soldaten, die „im Krieg tapfer und ehrenvoll gekämpft haben“, sollte es einen „Persilschein für Deserteure geben“, wie Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU- Fraktion, meint. Geis hält die pauschale Rehabilitierung überdies für eine Verunglimpfung der Richter, die sich um ein unabhängiges Urteil bemüht hätten. Schließlich habe Hitler es eben nicht geschafft, „sich die Militärgerichtsbarkeit insgesamt zu unterwerfen“. Eine Rehabilitierung würde auch die korrekten Richter als Terrorinstrumente der Nazis abstempeln. Und schließlich gebe es tatsächlich genug Fälle, „in denen Fahnenflüchtige sich in höchst verwerflicher und krimineller Art von der Truppe entfernt haben“.
Man muß aber nun nicht Linker oder Pazifist sein, um den nunmehrigen Beschluß des Bundesrates nachzuvollziehen. Im Gegenteil: Der Beschluß nimmt Rücksicht auch auf ehemalige Soldaten, die ihrem Land gedient haben. Diese sollen nicht befürchten müssen, nachträglich ins Unrecht gesetzt zu werden. Die Desertion andererseits wird nicht einmal positiv „aufgewertet“, es kommt lediglich zur Rücknahme eines ungerecht negativen Werturteils.
Der Bundesrat stellt fest, daß der Zweite Weltkrieg ein völkerrechtswidriger und verbrecherischen Angriffskrieg war. „Viele Kriegsteilnehmer haben das nicht in voller Tragweite erkannt...“, stellt der Beschluß fest. „Ihr Verhalten soll nicht pauschal abgewertet werden.“ Doch die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer“ haben sich „ungeachtet ihrer individuellen Motivationslage jedenfalls objektiv einer Mitwirkung an einem völkerrechtswidrigen Kriegsgeschehen entzogen und dadurch einen Anteil daran gehabt, daß sich das verbrecherische Geschehen nicht noch weiter ausgebreitet hat“.
Die Erklärung der Evangelischen Kirche vom 7. November 1996 ist sinngemäß ähnlich, stellt aber außerdem fest, daß eine Rehabilitierung keine negativen Auswirkungen auf die Bundeswehr haben könne, da diese die Armee eines demokratischen Rechtsstaates sei. Von einem Persilschein für alle Deserteure kann also keine Rede sein. Selbst Ludwig Baumann, Vorsitzender der Opfer der NS- Militärjustiz, betont: „Ich will Desertion nicht glorifizieren, so wie man fast nichts am Krieg glorifizieren kann.“ J.H. von Dallwitz
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