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Regisseur über das Politmilieu als Sujet„Schweiß, Blut, Kotze, Sperma“

Ein Gespräch mit dem französischen Filmemacher Pierre Schoeller über US-amerikanische Polit-Action und nicht verteilten Reichtum.

Szene aus Pierre Schoellers „Aufsteiger“: Der Minister träumt, und die schöne Nackte kriecht ins Krokodil. Bild: Kool Filmdistribution
Interview von Isabella Reicher

taz: Herr Schoeller, die Politik, das Politikermilieu beschäftigen Sie schon lange – was hat Sie speziell im Hinblick auf einen Film daran interessiert?

Pierre Schoeller: Ich wollte etwas filmen, das ein Stück weit unfassbar bleibt. Und das wiederum liegt in der Natur der Macht – nicht greifbar zu sein. Ich wollte der Bestie in die Augen sehen. Das im Kino zu machen, war jedoch eine echte Herausforderung. Es sollte ja ein realistischer, ernster Film werden, der sich aber auch einen freien, menschlichen Blick erlaubt und Überraschungen in Bild und Ton. Und ich wollte das Kino mit der Gegenwart konfrontieren, mit dem, was in einer westlichen Demokratie vor sich geht.

Im US-Kino gibt es anders als in Europa eine lange Tradition, das Politmilieu und seine Repräsentanten zum Filmsujet zu machen. Haben Sie sich damit beschäftigt?

Die Amerikaner filmen meistens Fakten, Ereignisse. Was mich interessiert, ist der Action-Aspekt, die große Dynamik und Spannung. Ich habe mir zum Beispiel Alan J. Pakulas „Die Unbestechlichen“ von 1976 angesehen. Der hat exzellente Schauspieler, ein gutes Buch mit gut geschriebenen Dialogen, eine sehr dynamische Inszenierung. Zugleich ist es unnachahmlich, wie hier jene Momente gefilmt werden, in denen nichts passiert.

Ein anderer Film, der mir wichtig war, ist „Der Kaiman“ von Moretti – ein sehr intelligenter, berührender Film über eine politische Figur. In Frankreich ist er nicht gut angekommen, obwohl ich persönlich ihn besser fand als „Il divo“, aber ich denke, die Spannung hat gefehlt.

Ist es im europäischen Autorenkino nicht auch etwas verpönt, Politik mit Action zu verknüpfen?

Das ist mir egal. Die Fernsehserie „West Wing“ hat ja beispielsweise gut gezeigt, wie man Stunden um Stunden politischer Vorgänge erzählen kann. Beim Publikum war sie ein großer Erfolg.

Sie beschreiben „Der Aufsteiger“ selbst gern als Actionfilm. Können Sie etwas zum Schnitt sagen, der ja nicht dem klassischen Actionkino entspricht?

Bild: kool
Im Interview: PIERRE SCHOELLER

wird 1961 in Paris geboren. Nach einem Filmstudium schreibt er ab 1995 Drehbücher fürs Fernsehen (dort entsteht 2003 auch seine erste lange Regiearbeit, "Zéro defaut") und für Kinoproduktionen von Alain Gomis u. a. 2008 stellt Schoeller sein Kinodebüt "Versailles" vor, Guillaume Depardieu ist darin in einer seiner letzten Rollen zu sehen.

Sein Film „Die Aufsteiger“: Bertrand Saint-Jean ist Verkehrsminister in Frankreich. Er ist im politischen Geschäft ein Aufsteiger, ein Mann der Tat, dem diese Eigenschaft in Krisensituationen zum Vorteil gereicht. Unter anderem dann, wenn er mitten in der Nacht an eine entfernte Unfallstelle eilen muss, um dort Verantwortlichkeit und Mitgefühl zu performen. Der belgische Schauspieler Olivier Gourmet verkörpert ihn als einen Getriebenen, energetisch und unerschrocken, aber auch nicht unbegrenzt belastbar.

Na ja – es sieht nicht aus wie bei den Bourne-Filmen, die ich übrigens sehr mag. Man soll schon verstehen, worum es geht. Man befindet sich schließlich in einem spezifischen Milieu, nicht unter Polizisten oder Gaunern. Vieles vollzieht sich hier in Gesprächen, Telefonaten. Andererseits ist der Film von einem Gefühl der Panik geprägt, von Angst, Stress und der Euphorie von Stress.

Haben Sie Dinge wie etwa die verblüffende Kamerabewegung nach dem Crash eigentlich schon so im Drehbuch stehen?

Mein Buch ist sehr genau, es enthält auch schon Regieanweisungen, allerdings nicht bis ins letzte Detail. Es gab nichts zur Musik oder zum Schnee, dem Winterlicht – das ist dann dazu gekommen.

Vor „Versailles“, Ihrem Kinodebüt 2008, waren Sie lange Drehbuchautor. Worin liegt der größte Unterschied, wenn Sie ein Buch an einen anderen Regisseur abgeben?

Man schreibt dann eben für jemand anderen, meine eigenen Filme haben damit wenig zu tun. Aber ich habe 2005 zusammen mit Jean-Pierre Limosin das Buch für eine Fernsehproduktion geschrieben, und die Hauptfigur war ein Affe, ein Bonobo-Weibchen. Das war eine sehr wichtige Erfahrung für mich, weil es sehr schwierig zu schreiben war. Und es hat mir gezeigt, dass man in puncto Empathie, Psychologie, der Projektion von Gefühlen auf eine Figur sehr weit gehen kann.

Der Film war auch nicht leicht zu drehen. Aber alle waren sehr berührt von diesem Affen, man ist mit ihm mitgegangen wie mit einer menschlichen Figur, weil wir ihn als einzigartig behandelt haben. Und dasselbe gilt auch für den Minister – er ist ein einzigartiges menschliches Wesen.

Er ist auch ein Mensch, der aufs Klo geht, kotzt, blutet, Sex hat.

Genau – Schweiß, Blut, Tränen, Kotze, Sperma, alles da. Olivier Gourmet war in diesem Zusammenhang außerordentlich. Er hat sich auf jeden Moment ganz eingelassen.

Die Politik ist ein sehr physisches Metier, sagen Sie. Im Film bewegt sich der Minister mit Entourage oft wie ein schwarzer Block durch Gänge, Gebäude und Menschenmengen. Haben Sie solche Bewegungsmodi und Verhaltensweisen in der Vorbereitung auch studiert?

Ich sammele Fotos. Da sind mir bestimmte Dinge aufgefallen – etwa dass Politiker nie als Einzelne unterwegs sind: Da sind die Leibwächter, die Pressesprecher und so weiter. Die Politfotografie ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich, weil etwas angehalten wird und man ganz genau hinsehen kann. Es gibt einen deutsch-jüdischen Fotografen aus den 1930er Jahren, der mich inspiriert hat, Erich Salomon. Er war der erste Fotograf, der Staatsmänner gecovert hat, ihr Leben, die Kulissen des politischen Lebens.

Können Sie für Nichtfranzosen erklären, was es mit der Rede von André Malraux auf sich hat, die Sie im Film vorkommen lassen?

Die Rede ist sehr berühmt und sehr wichtig im politischen Leben Frankreichs. Es ist jener Moment, als die Asche von Jean Moulin, einer bedeutenden Figur der Résistance, ins Panthéon in Paris, die Ruhestätte großer Männer, überstellt wird. Und Malraux hält seine Rede, während ein Gewitter niedergeht, bei Wind und Wetter. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das 1964 mitgeschnitten.

Es handelt sich auch weniger um eine politische Rede, als um ein Stück Kulturgeschichte. Malraux war ja Schriftsteller, der Text ist hervorragend formuliert, und Malraux trägt ihn vor wie ein großer Schauspieler. Für den Film wollte ich einen historischen Faden spannen, und mein Protagonist sollte etwas haben, das er bewundert. Die Politiker in Frankreich sind mit der Geschichte sehr vertraut. Man zitiert sie, spielt auf sie an, hält mit der Geschichte Zwiesprache.

Das Volk ist in Ihrem Film eher indirekt präsent, vor allem über Medien, aber einmal wird wörtlich auf die „grande colère“, also die große Wut der Menschen, Bezug genommen.

Der Film ist gezeichnet davon, wie ich Frankreich 2010/ 2011 wahrgenommen habe. Das Volk, also wir, sind ja eigentlich der Sinn der Politik. Der Zustand des Landes – dem sollte ihr Hauptinteresse gelten. Aber in Frankreich herrscht ein Zustand der Ungleichheit, der gewaltig ist: die Nichtverteilung des Reichtums, der Anstieg der Arbeitslosigkeit, das Stagnieren der Löhne, all das. Es gibt wachsende Armut, gravierende Probleme im Bildungssystem, in der Krankenversorgung und so weiter – so kann es nicht weitergehen, das erzeugt eine große Wut.

„Der Aufsteiger“. Regie: Pierre Schoeller. Mit Olivier Gourmet, Michel Blanc u. a. Frankreich/ Belgien 2011, 115 Min.

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