Regierungskrise in den Niederlanden: Koalition fällt über Afghanistanfrage
Selbst nach 16 Stunden Krisengespräch hat sich die Regierung in Den Haag nicht über den Afghanistaneinsatz einigen können. Daraufhin verlassen die Sozialdemokraten die Koalition.
Ein Streit um die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der niederländischen Streitkräfte hat am Samstag die Regierung in Den Haag zu Fall gebracht. Während die sozialdemokratische PvdA die Mission wie geplant bis Jahresende abschließen will, erwägt der Christen Democratisch Appèl (CDA) von Premierminister Jan Peter Balkenende einen Verbleib in der umkämpften Provinz Urusgan.
Nach einem ergebnislosen 16-stündigen Krisengespräch zogen die Minister der sozialdemokratischen PvdA die Konsequenz und traten aus dem Kabinett aus. CDA und PvdA stellten seit 2007 zusammen mit der streng calvinistischen Christen Union die Regierung.
Balkenende will am Sonntag Königin Beatrix den Rücktritt des Kabinetts anbieten. Als er gegen vier Uhr morgens sichtlich gezeichnet vor die Presse trat, zeigte er sich enttäuscht über “fehlendes Vertrauen” zwischen den Koalitionspartnern: “Ein fruchtbarer Weg, auf dem dieses Kabinett weiter hätte gehen können, fehlt”, so das Fazit des Regierungschefs. PvdA-Chef und Vizepremier Wouter Bos sagte, seine Partei könne nicht länger “auf glaubwürdige Weise Teil dieses Kabinetts” sein.
Der Konflikt um eine mögliche Verlängerung des Mandats schwelt schon seit Monaten. Neue Nahrung hatte er Anfag Februar durch einen Brief von NATO-Generalsekretär Rasmussen erhalten. Darin ersucht er Den Haag, die offiziell zum 1. August auslaufende Mission in Urusgan in kleinerer Form zu verlängern – mit rund 500 anstelle der momentan knapp 2.000 Soldaten, nicht wie bisher in leitender Funktion und vor allem zu Trainingszwecken.
Solche Ersuche richtet die NATO in der Regel nur dann an Mitgliedsländer, wenn ihre Erfüllung Formsache ist. Bos hatte CDA-Außenminister Maxime Verhagen daraufhin vorgeworfen, der NATO eigenmächtig Versprechungen zu machen. Verhagen wies dies zurück und bezeichnete Bos als Lügner.
Nachdem beide Parteien zunächst Kompromissbereitschaft angedeutet hatten, eskalierte der Streit Mitte dieser Woche. Bos betonte, die PvdA bleibe beim vereinbarten Abzugstermin und forderte das Kabinett zu einer einstimmigen Absage an die NATO auf. Jack de Vries, CDA-Staatssekretär im Verteidigungsministerium, unterstellte Bos, er habe mit seinem Auftreten “bewusst auf einen Bruch hingesteuert”. Mark Rutte, Chef der rechtsliberalen Oppositionspartei VVD, warf Bos im Hinblick auf die niederländischen Kommunalwahlen Anfang März vor, er “führe eine Kampagne auf den Rücken unserer Militärs.”
Der Zusammenhang mit den Wahlen liegt auf der Hand, zumal die Mehrheit der Bevölkerung angesichts 21 gefallener Soldaten für einen Rückzug aus Afghanistan ist. Zudem wurde das eigentlich bis 2008 reichende Mandat bereits schon einmal um zwei Jahre verlängert. Die Position der PvdA erklärt sich jedoch auch aus der Geschichte einer Koalition, die ungeachtet ihres Mottos "Zusammen arbeiten, zusammen leben" von häufigen schweren Konflikten gekennzeichnet war.
Meistens ordneten die Sozialdemokraten dabei die Interessen ihrer Basis deren Fortbestehen unter: beim abgeblasenen zweiten Referendum zum EU-Vertrag, bei der Anhebung des Rentenalters oder zuletzt bei der Debatte um die Unterstützung Den Haags für den Irak-Krieg 2003.
Bis zu den Neuwahlen, die wohl im Mai stattfinden werden, sollen die verbliebenen Koalitionsparteien CDA und Christen Union nun kommissarisch die Regierungsgeschäfte führen. Ihre Befugnisse dabei sind beschränkt: kontroverse Themen können vom Parlament in dieser Periode umstandslos verschoben werden.
Dazu gehört auch die Frage um einen Verbleib niederländischer Soldaten in Urusgan, für den sich keine Kammermehrheit findet. Das Ende des Afghanistan-Einsatzes ist mit dem Fall der Regierung beschlossene Sache. Dies gilt keineswegs für die Amtszeit des Premierministers: der CDA kündigte am Samstag bereits an, erneut mit Balkenende als Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zu ziehen.
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