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Regierungskrise im IrakPro-iranische Schiiten bleiben stur

Die pro-iranischen Schiiten im Irak halten an ihrem Ministerpräsidenten-Kandidaten fest. Die Nominierung hatte den Sturm auf das Parlament ausgelöst.

Bei den gewaltvollen Ausschreitungen am 30. August in Bagdad Foto: Ahmed Saad/reuters

Bagdad taz | Der Kampf um die Macht im Irak zwischen dem pro-iranischen sogenannten Koordinationsrahmen und den Anhängern des schiitischen Klerikers und Politikers Muktada Sadr geht in die nächste Runde.

Der Koordinationsrahmen, ein Verbund pro-iranischer Parteien und Milizen, die ihre Gegnerschaft zu Sadr eint, will weiterhin an seinem Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten, Mohammad Schia al-Sudani, festhalten.

Die letzten Wahlen im Irak fanden im Oktober 2021 statt. Doch bis heute konnte keine neue Regierung gebildet werden. Ein Konfliktpunkt: wer der nächste Ministerpräsident des Landes wird.

Die heiße Phase der aktuellen politischen Krise begann Anfang Juni: Sadr-loyale Abgeordnete zogen sich geschlossen aus dem Parlament zurück. Der Koordinationsrahmen nutzte den Abzug seiner Gegner, um Verhandlungen zur Regierungsbildung zu beginnen, und nominierte al-Sudani als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten, der vom Parlament bestimmt wird.

Sadrs Gefolgsleute hatten das Parlament mehrfach gestürmt

Das Parlament war seit Ende Juli allerdings vollkommen lahmgelegt. Dafür waren Sadr und seine Gefolgsleute verantwortlich: Sie hatten das Parlament mehrfach gestürmt und dadurch versucht, vorgezogene Wahlen und dessen Auflösung zu erzwingen.

Am vergangenen Montag hat das Parlament seine Arbeit erstmal wiederaufgenommen – allerdings ohne den Sadr-Block. „Der Konflikt, den wir erleben, ist ein Kampf um politische Legitimität. Aufgrund der geringen Wahlbeteiligung im vergangenen Jahr fehlt diese allen politischen Parteien. Sadr hat relativ gesehen mehr Legitimität, weil er mehr Sitze gewonnen hat und eine größere Anhängerschaft hat“, erklärt die Soziologin und Irak-Expertin Ruba al-Hassani.

Der Konflikt zwischen den beiden schiitischen Fraktionen hatte zuletzt mindestens 30 Todesopfer gefordert: Ende August stürmten bewaffnete Sadr-Anhänger zunächst das Parlament, zogen sich dann aber auf Kommando ihres Anführers zurück, der schließlich auch als Politiker zurücktrat.

„Sadrs jüngster Rücktritt ist eine Möglichkeit für ihn, seine Hände in Unschuld zu waschen, was die jüngste Gewalt angeht“, fügte al-Hassani hinzu.

Politik und Religion sind eng verwoben

Nach Sadr hatte Ende August eine weitere wichtige Figur der politischen und religiösen Landschaft des Irak seinen Rücktritt angekündigt: Kazem al-Hae­ri – ein schiitischer Maja’, die höchste religiöse Autorität für die Zwölfersekte der schiitischen Muslime, der viele Iraker angehören. Politik und Religion sind im Irak eng miteinander verwoben: Al-Haeri war lange Zeit das religiöse Oberhaupt, dem die Sadr-Loyalisten folgten. Als er zurücktrat, forderte er seine Anhänger auf, sich hinter den iranischen Politiker und Geistlichen Ali Chamenei zu stellen – ein Schritt, von dem sich Sadr herausgefordert fühlt.

„Nichts davon rechtfertigt Sadrs Handeln, aber es hilft, es zu erklären. Teheran ist weniger ein Zuschauer als vielmehr ein Akteur hinter den Kulissen im Irak – der Puppenspieler“, sagt al-Hassani.

Hayder al-Khoei, ein auf den Irak spezialisierter Nahost-Beobachter, erklärt, dass die vergangenen und die derzeitige irakische Regierung nicht unschuldig an dem politischen Chaos im Land sind. Sadr sei durch sie gestärkt und ermutigt worden – als Gegengewicht zu den vom Iran unterstützten Milizen. „Diese kurzsichtige Politik im Interesse des Überlebens hat Folgen, und die jüngste Eskalation war nur ein Vorgeschmack darauf. Frühere irakische Regierungen haben genau das Gegenteil getan und den Staat und seine Institutionen für die vom Iran unterstützten Milizen geöffnet. Aber die Mafia zu benutzen, um eine andere Mafia zu bekämpfen, ist ein sehr gefährliches Spiel, und wie immer sind es die Menschen und das Land, die darunter leiden“, erklärt er.

Der sogenannte Koordina­tionsrahmen trat nach den Wahlen im vergangenen Oktober auf: eine Gruppe von Parteien und Milizen, die sich gegen Sadr stellen. Sie bestehen aus schiitischen Kräften, die dem Iran nahestehen oder von ihm unterstützt werden. Zu dem Verbund gehört auch die Asa’ib-Ahl-al-Haq-Miliz – eine Gruppe, die unter anderem gegen US-Truppen im Irak kämpfte. Sie werden beschuldigt, während des Aufstands im Oktober 2019 Morde an zivilen Aktivisten verübt zu haben. Damals protestierten viele Iraker für Wirtschaftsreformen und ein Ende der weit verbreiteten Korruption.

„Unsere Forderung ist ein Wechsel der Regierung“

Mustafa Hasana ist ein 19-jähriger Student aus der südirakischen Stadt Basra. Er ist ein Anhänger Sadrs und hatte sich auch den jüngsten Protesten in Bagdad angeschlossen. „Ich bin bei den Protesten 2018 als irakischer Bürger auf die Straße gegangen, um bessere Dienstleistungen wie Gesundheit, Wasser und Strom zu fordern. Aber nach der Ermordung mehrerer Demonstranten änderte sich der Inhalt der Proteste. Unsere Forderung ist nun ein Wechsel der Regierung“, sagt er. Auch die Kata’ib Hisbollah gehört dazu – die mächtigste vom Iran unterstützte und mit der libanesischen Hisbollah-Miliz verbündete Miliz. Sie wird von der US-Regierung als Terrorgruppe geführt.

Die Politikwissenschaftlerin Marsin Alshamary sagt: „Die Triebkräfte des Bürgerkriegs gibt es im Irak schon seit Jahren. Insbesondere die Präsenz bewaffneter Gruppen, arbeitslose Jugendliche und eine zu­nehmend unpopuläre Regierung tragen dazu bei. Auch wenn die schlimmsten Spannungen jetzt überwunden sind, werden strukturelle Faktoren den Irak auch in Zukunft heimsuchen.“

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