: Regierungsbildung völlig offen
Einen Tag vor der Wahl der Bremer Bürgerschaft ist Koalitionsfrage ungeklärt/ SPD schwankt zwischen großer und sozialliberaler Koalition/ Auch Ampel-Koalition noch möglich ■ Aus Bremen H. Bruns-Kösters
Die Regierungsbildung in Bremen entwickelt sich zu einem Politkrimi. Am Montag nachmittag war es noch völlig unklar, ob Bremen künftig von einer sozialliberalen Koalition, einer Ampel- oder möglicherweise gar von einer großen Koalition regiert wird. Das furiose Finale bei der Regierungsbildung ist für heute abend und Mittwoch vormittag angekündigt. Am heutigen Abend wollen Grüne und SPD noch einmal Landesparteitage abhalten. Am Mittwoch tritt dann die Bremer Bürgerschaft zusammen, um den neuen Bremer Senat zu wählen.
Die Entscheidung der Grünen, mit einer Stimme Mehrheit die Ampel-Koalition abzulehnen, hatte am Sonntag hektische Aktivitäten ausgelöst. Der SPD-Landesvorstand hatte daraufhin beschlossen, einen außerordentlichen Landesparteitag einzuberufen, der auf der Grundlage der Ampel-Vereinbarungen auch einer sozialliberalen Koalition zustimmen sollte. Die Grünen, so der kommissarische SPD-Vorsitzende Horst Isola, sollten erst einmal in einem „längeren Klärungsprozeß“ ihre Verläßlichkeit unter Beweis stellen. Das Problem einer sozialliberalen Koalition wäre, daß SPD und FDP zwar im Landtag über zwei Stimmen Mehrheit verfügen, im Bremer Stadtparlament allerdings eine Pattsituation entstünde. Bis zum Herbst 92, so das SPD-Kalkül, könnten die Grünen dann einer sozialliberalen Koalition beitreten.
Bei der grünen Klientel hat es derweil ein großes Erschrecken über die Abstimmung gegeben. Zahlreiche Briefe haben die Grünen aufgefordert, diese Entscheidung noch einmal zu revidieren. Nachdem der Landesvorstand zunächst beschloß, die Mitgliederversammlung heute abend fortzusetzen, um die grünen SenatorInnen dann im Januar nachwählen zu lassen, beschloß die Fraktion gestern mit 10:1 Stimmen ein anderes Vorgehen. „Entweder es gibt am Mittwoch eine Ampel-Koalition oder gar nicht“, faßte der grüne Spitzenkandidat Ralf Fücks das Ergebnis der Beratung zusammen. Ein Beschluß, der in zwei Richtungen geht. Zum einen soll die eigene Basis zu einer deutlichen Revision des Beschlusses gezwungen werden, zum anderen wollen sich die Grünen nicht von der SPD „dressieren lassen“, so Fücks.
In der SPD ist mittlerweile der Kampf um eine große Koalition ausgebrochen. Der scheidende SPD- Hafensenator Konrad Kunick, der auch für den vakanten Parteivorsitz kandidieren will, forderte den Rücktritt von Bürgermeister Klaus Wedemeier und Verhandlungen über die Bildung einer großen Koalition. Kunick warf der SPD „putschistische Strukturen“ vor, nachdem der Landesvorstand eine sozialliberale Koalition beschlossen hatte. Kunick: „Für Wedemeier ist es eine Sache der politischen Moral, jetzt auszuscheiden.“
Wenn Kunick mit seiner Haltung in der Fraktion Unterstützung findet, hätten die SenatorInnen einer sozialliberalen Koalition ohne Tolerierung der Grünen am Mittwoch im Parlament nicht die erforderliche Mehrheit.
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