: Regierung verläßt den albanischen Weg
■ Führende in Tirana wollen sich durch demokratische Öffnung Machterhalt sichern/ Entwurf einer Verfassung liegt vor/ Versprochen werden Bürgerrechte, Pluralismus und Recht auf Eigentum
Berlin (taz) — Bei ihrem Versuch, die spontane Demokratiebewegung zu kanalisieren und die verlorene Initiative für eine systemstabilisierende Reformpolitik zurückzugewinnen, hat die albanische Regierung am Wochenende Teile eines neuen Verfassungsentwurfs veröffentlicht. Die in 'Zeret i Populit‘, dem Zentralorgan der regierenden PAA, und in Rundfunksendungen verbreiteten Fragmente charakterisieren Albanien weiterhin als „sozialistische Volksrepublik“, legen dann aber fest, daß die Volkssouveränität ausschließlich von der Volksversammlung und den Volksräten ausgeübt wird. Damit wird die „führende Rolle“ des Klassenbündnisses Arbeiter/Bauern und der ihren Willen ausdrückenden Avantgardepartei endgültig verabschiedet, ebenso das Prinzip der Vereinigung von gesetzgebender und ausführender Gewalt, das stets als Beweis für die Überlegenheit der „sozialistischen Demokratie“ gefeiert worden war. Dem Pluralismus auf der Ebene des Staates, mit der Zulassung einer Oppositionspartei bereits faktisch zugestanden, entspricht im Verfassungsentwurf der Pluralismus gesellschaftlicher Interessen und Eigentumsformen.
Bei der Zulassung des Privateigentums findet sich die Klausel, daß die Privatinitiative nur insoweit gerechtfertigt sei, als sie „gesellschaftliche Interessen nicht beeinträchtigt“. Mit dieser Wischiwaschi- Klausel wird versucht, die Definitionsmacht der Realsozialisten über das, was der Gesellschaft frommt, aufrechtzuerhalten. Ansonsten wird von der Gleichberechtigung der Eigentumsformen im staatlichen, genossenschaftlichen und privaten Sektor ausgegangen — eine Formel, mit der auch während der Revolutionen in Osteuropa 1989 die Machtelite die Kontrolle über Schlüsselbereiche der Produktion beizubehalten versuchte. Wie sehr die auf ökonomische Autarkie, auf „Vertrauen in die eigene Kraft“ basierende Ideologie des albanischen Sozialismus in die Defensive getraten ist, zeigt der Artikel des Entwurfs, nach dem „eine ausländische juristische Person das Recht auf Eigentum erhalten, in die Betriebe des Landes investieren und Joint-ventures begründen kann“. Immerhin hatte in den 70er Jahren das Verbot, ausländisches Kapital aufzunehmen, Verfassungsrang erhalten — Ausdruck der Abgrenzung erst vom sowjetischen, dann vom chinesischen „Revisionismus“.
Nach den Ankündigungen und teils auch der Regierungspraxis der letzten Wochen kommt die im Entwurf proklamierte Religionsfreiheit nicht überraschend. Die Unterdrückung des islamischen wie des christlichen Bekenntnisses hatte ebenfalls zu den Extravaganzen des „albanischen Weges“ gehört. Allerdings wird sogleich der Versuch einer Einschränkung durch die Bestimmung gemacht, wonach „die Nutzung der Religion zu politischen Zielen und zur nationalen Spaltung verboten“ sei. Die Führung versucht damit, sich eine Waffe für die absehbaren Konflikte zwischen den albanischen Hauptethnien, die zum Teil auch durch den Gegensatz Christentum- Islam bestimmt sind, zu schmieden.
Neu im Entwurf ist die vorbehaltlose Anerkennnung von Menschen und Bürgerrechten sowie von Volksgruppenrechten der Minderheiten, deren bloße Existenz früher abgestritten wurde. Die zu Ende des Jahres gegründeten Menschenrechtsorganisationen können jetzt bei ihrem Kampf um die Freilassung der politischen Gefangenen ein faires Gerichtsverfahren erhoffen und bei Abschaffung des monströsen politischen Strafrechts auf juristisch besser gesichertem Terrain operieren. Die ausschlaggebende Auseinandersetzung mit dem nach rumänischer Manier operierenden allmächtigen Geheimdienst wird durch die bekanntgewordenen Teile des Verfassungsentwurfs nicht gestützt.
Insgesamt reagiert der Entwurf eher auf die jüngste demokratische Bewegung; er wiederholt das schon mehrfach schiefgegangene Manöver, demokratische Öffnung und Machterhalt auf einen Nenner zu bringen. Gemessen an den politischen Verhältnissen noch vor einem Jahr sicher ein revolutionäres Dokument, wird der Entwurf der Entwicklung zur Demokratie kaum noch Fesseln anlegen können. Christian Semler
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