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Archiv-Artikel

Regieren? Gern!

AUS BERLIN JENS KÖNIG

„Wir hatten das Glück, gewählt zu werden, aber nicht, uns kennen zu lernen.“ Lothar Bisky, Vorsitzender der Linken.PDS, eröffnet die erste Fraktionssitzung der gesamtdeutschen Linkspartei und benennt auf charmante Art und Weise eines ihrer Hauptprobleme: Die Partei, die offiziell noch gar nicht existiert, ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen, im Bundestag sitzen 54 ihrer Vertreter, und an diesem Freitagvormittag sehen sie sich alle zusammen zum ersten Mal.

So beginnt Bisky mit dem Naheliegenden: Er fordert alle Abgeordneten auf, sich doch erst einmal vorzustellen. „Ich heiße Lothar Bisky, bin verheiratet und habe drei Söhne, die gelegentlich Öffentlichkeit produzieren“, eröffnet er selbst. Ihm folgt der, den hier alle kennen: „Ich heiße Oskar Lafontaine, bin auch verheiratet, habe zwei Söhne, die aber noch nicht soviel Öffentlichkeit produzieren.“ So geht’s zu in der linken Opposition.

Die Fraktionssitzung ist noch öffentlich – erst später, bei der Wahl der Fraktionschefs, werden die Türen verschlossen –, die Journalisten dürfen im Saal bleiben, und sie erleben ein interessantes biografisch-politisches Schauspiel. Alle Abgeordneten sagen nur ein paar Worte, aber die reichen, um so einiges über die Linkspartei zu lernen. Mehr Männer als Frauen sitzen in der Fraktion, mehr Westler als Ostler, mehr PDSler als WASGler. Die einen finden, Leipzig sei die schönste Stadt Deutschlands, die anderen Duisburg. Einmal muss Gregor Gysi lachen, als er erfährt , dass neben ihm noch ein gelernter Rinderzüchter in der Fraktion sitzt. Dieser fröhliche Neuanfang unter Beobachtung der Medien erinnert ein wenig an die erste grüne Bundestagsfraktion von 1983 – nur dass hier alles biederer, älter und disziplinierter über die Bühne geht.

So werden bereits nach einer Stunde Gysi und Lafontaine erwartungsgemäß zu den Vorsitzenden der Fraktion gewählt (mit 92,6 bzw. 94,4 Prozent). Ab jetzt übernehmen die Chefs auch gleich die Regie. Lafontaine erinnert in seiner Rede daran, dass er jahrelang „im Schützengraben“ gekämpft habe und davon „Verletzungen“ geblieben seien. Der Politprofi ermahnt seine neuen Kollegen, nicht zu viel Energie in die Ausarbeitung von Gesetzentwürfen zu stecken, „die dann von der Regierung abgeschmettert werden“. Vielmehr müssten WASG und PDS neue Mitglieder werben und die Zahl besonders im Westen „verdoppeln und verdreifachen“. Gysi, der weiß, dass sich die Medien für keine Partei interessieren, die nur opponieren will, entdeckt in seinem Vortrag plötzlich, dass auch die Linkspartei einen Machtanspruch hat. „Wir wollen regieren, wir können es nur nicht“, sagt er. Seiner Partei fehle ein Partner, alle anderen würden den Weg des Sozialabbaus gehen. Aber für 2009 schließt er gar nichts aus: „Die SPD kann nicht auf ewig eine zweite Union bleiben.“

Lafontaine sagt später vor der Presse, dass Gysi und er das politische Geschäft beherrschten. Und so betont auch Lafontaine, dass die Behauptung, die Linkspartei wolle nicht regieren, „schlicht und einfach falsch“ sei. Aber die Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung seien eine „andere Sozialpolitik“ und eine „andere Außenpolitik“. Beide weisen also den Gedanken weit von sich, die Linkspartei könne möglicherweise einen Kanzler Schröder mitwählen. „Dann bräuchten wir gar nicht mehr bei Wahlen anzutreten“, sagt Gysi.

Das gibt Lafontaine die Gelegenheit, ein paar Worte über seinen alten Rivalen loszuwerden. Schröders Verhalten sei „mit den Maßstäben des Alltags nicht mehr zu erfassen“. Er, Lafontaine, habe 1990 ein ähnliches schlechtes Wahlergebnis wie Schröder jetzt eingefahren. Aber er habe damals „für mich und für meine Partei eine schwere Niederlage“ eingestanden. Die SPD-Führung von heute hingegen gebe „nur noch Rätsel“ auf. „Unter Niveau“ sei das Koalitionsgeschachere der anderen Parteien, fügt Gysi hinzu. Im Ausland müssten sie doch denken, „wir haben alle eine Meise“. Die SPD solle endlich akzeptieren, dass sie die Wahl verloren hat.

Die Linkspartei ist bereit – für die Opposition.