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Archiv-Artikel

Regentinnen des Altmännerhauses in Bremen

100 Kleisterwerke (4): Renommierte Bremer Kunsthistoriker deuten Plakate des aktuellen Bürgerschaftswahlkampfes. Ein viel beachtetes „Niederdeutsches Gruppenbild“ erklärt heute Peter Friese, Kurator am Museum Neue Weserburg

Die Blonde in der Mitte sitzt zwischen den Stühlen. Bequem war das wohl kaumGroße Meister des Genres heißenRembrandt, Maes und Frans Hals

Sechs Frauen posieren zusammengerückt auf roten Sesseln. Sie lächeln den Fotografen und damit auch den Betrachter an: freundlich, etwas bemüht und zugleich herausfordernd, wie man es von Werbebildern kennt.

Wenn man aber einmal genau hinsieht, haben nur drei der Damen richtig Platz genommen. Zwei beugen sich von hinten zur Gruppe, und die Blonde in der Mitte sitzt trotz lässig aufgestützten Arms zwischen den Stühlen, was bestimmt nicht bequem war. Will sagen: So kann man nicht lange beieinander hocken, so gedrängt bringt man sich nur für ein Foto in Position. Kein Bild aus dem Leben, ein gestelltes Foto eben!

Was aber will uns dieses Gruppenporträt mit den darüberschwebenden Zeilen: „Starke Frauen wählen“ sagen? Die Botschaft ist klar und mehrdeutig zugleich: Nämlich, dass es starke Frauen in der CDU gibt und dass man sie auch wählen kann. Zum Beispiel die auf dem Foto. Gleichzeitig suggeriert der Satz, dass starke Frauen CDU wählen. (Was aber wählen schwache Frauen? Etwa die Feministische Partei? Oder gehen sie gar nicht zur Wahl? Und was ist mit den Männern?)

Hier spätestens wird deutlich, dass es sich bei dieser Bild-Text-Kombination um eine aus der Werbung bekannte Behauptungsstrategie handelt. Augenfällig wird die von René Magritte meisterhaft gemalte Erkenntnis, dass ein Bild alle möglichen ihm unterstellten Bedeutungen annehmen kann. Kein geringerer als Michel Foucault hat dies in seinem Büchlein „Dies ist keine Pfeife“ zeichentheoretisch und philosophisch untermauert.

So weit, so gut, wäre da nicht noch die alte Tradition des Gruppenporträts, dem dieses Wahlplakat eher nolens als volens verpflichtet ist. Der Mitbegründer der Wiener Schule der Kunstgeschichte, Alois Riegl, hob in seinem 1902 verfassten Klassiker „Das Holländische Gruppenporträt“ hervor, dass im 17. Jahrhundert, als Wirtschaft und Handel und mit ihnen auch die Kunst prosperierten, dieser Bildnistyp besonders gefragt war. Es ging den in der Regel bürgerlichen Porträtierten darum, als freie Individuen begriffen zu werden, die ihre Kontakte untereinander demonstrieren und zugleich eine Beziehung zum Betrachter des Bildes herstellen wollten. Riegl spricht hier von „teilnehmender Aufmerksamkeit“, von „innerer“ und „äußerer Einheit“.

Das sind für ihn nicht allein formale oder stilistische Kriterien, sondern im Bild demonstrierte bürgerlich-calvinistische Tugenden. Große Meister des Genres heißen Rembrandt, Nicolas Maes, Ferdinand Bol und Frans Hals.

Letzterer malte 1664, am Ende seines Lebens, die beiden berühmten Gruppenporträts der „Regentinnen und Regenten des Altmännerhauses in Haarlem“. Es entstanden gleich zwei monumentale, nach Geschlechtern getrennte Bilder. Auch hier also „starke Frauen“, die hierarchisch und in ihren Charaktereigenschaften voneinander unterschieden werden. Man beachte nur die fast spöttisch lächelnde Figur in der Mitte oder die Frau ganz links, wie unverblümt fordernd sie ihren Blick an den Betrachter richtet und ihre rechte Hand aufhält, während ihre linke Geld zu zählen scheint! Ja, so deutlich konnte Calvinismus einst sein!

Übrigens sind die starken Frauen aus Bremen zur Endrunde des Wahlkampfes von ihrer eigenen Partei überklebt worden. Starkes Stück das! Oder waren sie als Bilder am Ende doch nicht stark genug? Peter Friese