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Refugee-Karawane „We'll Come United“Die Isolation durchbrechen

Eine antirassistische Karawane eine Woche lang durch Asylunterkünfte in Ostdeutschland gezogen. Für die Teilnehmenden war sie ein Erfolg.

Am Ziel angelangt: Die Karavane auf einer ihrer letzten Kundgebungen vor der Geflüchtetenunterkunft in Tegel Foto: Maria Sturm

Berlin taz | „Shut Tegel down!“, ruft eine Sprecherin auf der Kundgebung vor der Notunterkunft für Geflüchtete am ehemaligen Flughafen Tegel.

Hier ist alles grau: der Asphalt, die Betonbrücke, die den Blick zum ehemaligen Flughafengebäude versperrt, sogar der Himmel. Niemand kommt hier zufällig vorbei. Die betongraue Zufahrt ist eine angemessen trostlose Kulisse für diese bescheidene Kundgebung.

Doch die rund 100 Anwesenden hören den Wort- und Musikbeiträgen aufmerksam zu, es gibt leckeres Essen gegen Spende, eine Frau verteilt Äpfel. Eine warmherzige, solidarische Stimmung ist spürbar, ein angenehmer Kontrast zum kalten Platz in Tegel.

Die Kundgebung in Tegel ist die letzte Station der „Karawane für Bewegungsfreiheit“, die weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit vom 20. bis 27. September durch Ostdeutschland gezogen ist.

Tour durch die Unterkünfte

„We’ll Come United“ hat die Karawane organisiert, ein Bündnis von Migrant*innen, Geflüchteten und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen – zehn Jahre nach der großen Fluchtbewegung über die Balkanroute, die hier „Marsch der Hoffnung“ genannt wird.

Das Bündnis fordert ein Bleiberecht für alle Geflüchteten, die Abschaffung der als rassistisch empfundenen Bezahlkarte, die Schließung aller Lager und angemessene Wohnmöglichkeiten sowie gleiche soziale und politische Rechte.

Dutzende antirassistische Ak­ti­vis­t*in­nen haben verschiedene Geflüchtetenlager in Thüringen und Sachsen, in Brandenburg und Berlin besucht, Kundgebungen mit Geflüchteten durchgeführt, sich ausgetauscht und vernetzt. Die aus Somaliland stammende Journalistin Muna Abdi hat an der Karawane teilgenommen und von jeder Station ein Tagebuch für die taz geführt.

Anders als etwa in Mühlhausen und Arnstadt sind auf der Kundgebung in Tegel nur wenige Geflüchtete aus „dem größten Lager in Deutschland“ anwesend. Lediglich ein Dutzend ukrainischer Kinder lässt sich schminken und von einem Luftballonkünstler bespaßen.

Zurück zum O-Platz

Die Kundgebung am Freitag ist die letzte Aktion der Karawane, die am Vorabend am symbolträchtigen Oranienplatz in Kreuzberg angelangt ist, der 2012/2013 anderthalb Jahre von Geflüchteten besetzt war.

Nun haben dort lokale Un­ter­stüt­ze­r*in­nen vom 20. September bis zum 1. Oktober ein Protestcamp angemeldet. Anders als damals sind jetzt nur rund 30 kleine Zelte aufgebaut. Bei nasskaltem Herbstwetter findet am Freitagvormittag eine Pressekonferenz statt, allerdings ist kaum Presse da, dafür drängen sich viele Un­ter­stüt­ze­r*in­nen in dem Veranstaltungszelt.

„Zehn Jahre nach dem Marsch der Hoffnung hat sich die Situation für Menschen auf der Flucht nur verschlechtert – mit rassistischen Gesetzen, Isolation in Lagern, Abschiebungen und der demütigenden Bezahlkarte“, beginnt Hassan Nugud, ein Sprecher der Karawane. „Eine Woche lang sind wir gemeinsam gereist, haben lokale Kämpfe miteinander verbunden und gezeigt, dass unsere Stimmen nicht zum Schweigen gebracht werden können.“ Diese Karawane sei ein Zeichen von Solidarität und Selbstorganisation.

Neben Nugud sitzen Ver­tre­te­r*in­nen von fünf weiteren Initiativen auf dem improvisierten Podium, unter anderem vom O-Platz-Kollektiv, Migrantifa Berlin sowie Samee Ullah vom Lieferando Workers Collective. Freiwillige übersetzen die Beiträge simultan in drei Sprachen.

Wie ein Gefängnis

Ullah arbeitet seit fünf Jahren bei Lieferando und ist seit einem Jahr Mitglied im Betriebsrat. Er beklagt schlechte Arbeitsbedingungen und eine systematische Ausbeutung migrantischer Ar­bei­te­r*in­nen durch „falsche“ Subunternehmen. „Wir wollen legale Arbeit“, fordert er.

Die Migrantifa Berlin will „die verstärkten Repressionen“ gegen die Menschen in den Lagern nicht tatenlos hinnehmen, wie eine Sprecherin erklärt. „Diese Lager existieren, um den Menschen die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zu verwehren.“

Davon kann Evren berichten, der kurdische Aktivist von der Initiative Alan Kurdi war 2024 selbst vier Monate in der Notunterkunft in Tegel untergebracht. „Es gibt dort viele Verletzungen grundlegender Menschenrechte“, sagt Evren zur taz. Man könne dort keinen Besuch empfangen, nicht selbst kochen.

„Es ist wie ein Gefängnis“, sagt Evren. Der Zugang zu medizinischer und psychologischer Versorgung sei stark eingeschränkt, außerdem gebe es sexuellen Missbrauch seitens der Wachleute. Ein kurdischer Mann habe sich dort das Leben genommen. Evren fordert die sofortige Schließung von Tegel.

Von Abschiebung bedroht

Tatsächlich hat sich die Lage dort inzwischen entspannt, Ende des Jahres soll die Notunterkunft geschlossen werden. An deren Stelle soll allerdings ein Aufnahmezentrum für Asylsuchende nach den neuen EU-Regeln zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) eingerichtet werden. Flüchtlingsorganisationen befürchten, dass Tegel dann zum größten „Haftzentrum“ für Asylsuchende in Deutschland wird.

Auch eine Sprecherin auf der Kundgebung befürchtet, dass dieser „deprimierende“ Ort zu einem Abschiebelager umgewandelt wird. Die individuelle Geschichte spiele dann keine Rolle mehr: „Wer eine schlechte Bleibeperspektive hat, wird abgeschoben“.

Rex Osa war selbst jahrelang von Abschiebung bedroht, heute engagiert er sich für andere Geflüchtete. Er hat ebenfalls an der Karawane teilgenommen und zieht ein positives Fazit: „Dass die Karawane stattgefunden hat, ist großartig und ein Aufruf an uns, aufzuwachen und uns als linke Bewegung zu vernetzen“, so Osa.

„Unser größter Erfolg ist, dass der Protest von Geflüchteten und der Kampf von Mi­gran­t*in­nen sichtbar ist.“ Das sei eine Motivation, weiterzumachen.

Langer Atem nötig

„Es war viel Arbeit, aber es hat sich total gelohnt“, findet auch Dora, die seit über 30 Jahren in der Soliarbeit aktiv ist. Aber wie realistisch sind Forderungen nach der Schließung aller Lager, einem Abschiebestopp und einem Bleiberecht für alle, angesichts des wachsenden Drucks auf Geflüchtete seitens Behörden, Medien und Parteien?

„Die Forderungen sind utopisch, und trotzdem würde ich sie immer aufrechterhalten, weil es sozusagen unser Ziel am Ende ist“, sagt Dora bestimmt.

Am Samstag ist dann die „große Parade“: Immerhin gut 500 Leute scharen sich um fünf Lkws, auf denen Reden gehalten werden, Musik gespielt und live gerappt wird. Die Parade ist der Abschluss der Karawane, aber nicht das Ende des Protests.

„Es ist ein permanenter Kampf und wir erreichen ja für manche Leute gemeinsam was“, sagt Aktivistin Dora. „Und wenn wir nicht kämpfen würden, würden wir gar nichts erreichen.“

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