Reform der Olympischen Spiele: Brüchige Brücken
Ändert die Reformagenda des IOC alles? Bei einer Diskussionsrunde kommen Zweifel auf, ob sie Transparenz und Nachhaltigkeit erzeugt.
Alfons Hörmann wusste auch noch nicht so genau, was diese 40 Punkte denn nun eigentlich bedeuten sollten. „Wir müssen jetzt übersetzen, was das alles heißt“, sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), nachdem am 8. Dezember auf einer Sondervollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) das Reformprogramm „Olympic Agenda 2020“ verabschiedet wurde.
Ohne Gegenstimmen wurde das von IOC-Präsident Thomas Bach vorgestellte Reformpaket in Monte Carlo von den Mitgliedern durchgewunken. Die wichtigsten darin enthaltenen Punkte: das Thema Nachhaltigkeit solle fortan „bei allen Fragen der Planung und Austragung Olympischer Spiele“ berücksichtigt werden, die Kosten für Olympia sollen gesenkt werden, der Kostenplan der Ausrichter transparent sein.
Geschlechtergerechtigkeit (gleich viele weibliche Athleten) beinhaltet die Reform genauso wie einen Antidiskriminierungsparagrafen. Und: Wettbewerbe können aus der Ausrichterstadt und dem Gastgeberland ausgelagert werden. 20 Millionen Dollar für den Antikorruptions- und Antidopingkampf spendiert das IOC auch noch.
Ändert die Reform also alles? Verbessern sich nun die Chancen für die deutsche Bewerbung 2024? Darüber diskutierten der Sportsoziologe Helmut Digel, die ehemalige Leichtathletin Sylvia Schenk von Transparency International, Journalist und Sportpolitikexperte Jens Weinreich und die Berliner Linken-Abgeordnete und NOlympia-Aktivistin Gabriele Hiller am Montagabend in der Lounge der Max-Schmeling-Halle in Berlin.
„Eine faire Rangliste“
„Es gab auch vorher schon die Olympische Charta, die eigentlich über allem steht – die hat das IOC auch nicht interessiert“, sagte Weinreich – er sieht die Agenda keinesfalls als richtungsweisend. Sein entscheidender Punkt: „Es hat sich ja an den Vergabebedingungen nichts geändert.“ Die IOC-Mitglieder entschieden doch weiterhin nicht danach, welche Bewerbung die beste technische Bewertung erhalte (im Falle von Rio 2016 hat sich gar die schlechteste durchgesetzt). „Es wäre ein Leichtes, eine Matrix zu entwickeln und so eine faire Rangliste zu erstellen“, sagte Weinreich.
Die derzeit 105 stimmberechtigten IOC-Mitglieder votieren geheim über die Entscheidung, wer Ausrichterstadt wird (über Olympia 2024 soll 2017 in Lima abgestimmt werden). Sportsoziologe Digel forderte eine öffentliche und transparente Stimmabgabe – die Europäer im IOC sollten darauf drängen. „Das wäre der entscheidende Punkt, der alle andere killen könnte“, sagte Weinreich und spielte damit wohl darauf an, dass so Korruption und Willkür gestoppt werden könnten. Nur fraglich, ob man damit den Einfluss der Europäer im IOC nicht überschätzt.
Digel sprach davon, dass die Reichweite der Reform vielen gar nicht bewusst sei – und meinte besonders eine für die Einzelsportverbände entscheidende Einlassung: Es gibt kein Limit bei den Sportarten mehr, nur noch bei den Wettbewerben (310 bei Sommer- / 100 bei Winterspielen) und Athleten (10.500/2.900), gleichzeitig soll die Attraktivität des Programms ständig überprüft werden und das Athletenerlebnis im Vordergrund stehen – nicht auszuschließen, dass so vermeintlich unattraktive Wettbewerbe (zum Beispiel Gehen) vor dem Aus stehen.
Die Host-City-Verträge sollen zudem zukünftig verpflichtend veröffentlicht werden. „Wenn aber die Bevölkerung über Olympia abstimmen soll, dann müsste der Vertrag ja vorher vorliegen – ich bezweifele, dass das so sein wird“, sagte NOlympia-Aktivisten Hiller. Ex-Athletin Schenk setzt hingegen viel Hoffnung in die Reform: Sie wolle ihren Traum von Olympia, als Fest, das „Brücken baue“, nicht aufgeben.
Den 15 Anti-Olympia-Aktivisten vor der Halle, die mit Transparenten demonstrierten, war weniger nach Brückenbauen. Nach Polizeiangaben wollten sie in die Halle stürmen und die Veranstaltung stören. Ein Aktivist schaffte es dann auch hinein und warf ein Glas Rotwein Richtung Podium. Berlins „Olympia verhindern“-Bewegung sei „ein Jammer“, sollte Jens Weinreich wenig später twittern.
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