Reeder Peter Krämer über Edelmut: "Man kann die Welt verändern"
Der Hamburger Reeder und Millionär Peter Krämer fordert eine Reichensteuer und hat ein Schulprojekt in Afrika initiiert. Seine Schiffe fahren aber unter Billigflagge. Für Krämer kein Widerspruch.
taz: Herr Krämer, Sie sind als Reeder reich geworden. Aber Sie haben mal Soziologie und Pädagogik studiert.
Peter Krämer: Nur für ein Jahr.
Was waren Sie für ein junger Mann?
Ich habe mich der 68er-Generation zugehörig gefühlt, obwohl ich noch Schüler war. Mein Deutschlehrer hat mich geistig sehr beeinflusst. Angeregt von ihm, habe ich alles gelesen von Sartre, alles von Camus, wir haben uns mit Brecht auseinandergesetzt. Er hat in mir den Wunsch erzeugt, selbst Lehrer zu werden. An der Universität haben uns die Soziologie-Dozenten dann aber gesagt, dass wir keine Chance haben, einen Beruf zu finden.
Und davon haben Sie sich abschrecken lassen?
Ja. Jeder will ja eine Chance haben, und damals wollten fast alle Lehrer werden. So habe ich mich dem „Ordentlichen“ zugewandt und ein Jurastudium begonnen.
Sie sind in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen und haben als Jugendlicher jedes Jahr an Heiligabend das Haus verlassen, um für Bedürftige Geld zu sammeln. Als Provokation?
Nein, das war fast eine Flucht, eine Hinwendung zur normalen Welt. Ich wollte nicht die Zunge rausstrecken, sondern ich musste da raus. Irgendetwas Sinnvolles tun.
Auch politisch?
Mein Deutschlehrer hat uns damals ermuntert, eine Schülerbewegung gegen die Verkrustung der Schulgesetze zu starten. Ich werde nie vergessen, wie mein Vater die Flugblätter gefunden hat.
Hat er Sie bestraft?
Er hat mir das Auto weggenommen. Ich bin dann zu Fuß zur Schule gegangen und habe den Text mündlich vorgetragen. Mein Vater und ich hatten lange Auseinandersetzungen über Politik. Die gingen bis zwei, drei Uhr morgens.
Aber wie geht das zusammen? Ein Junge, der eigentlich sehr schüchtern ist, der stottert …
… Stottern, Höhenangst, genau.
Also ein unsicheres Kind, das aber trotzdem in den Konflikt geht.
Mein Vater war nicht nur ein rechtskonservativer Mensch. Er hatte auch andere Eigenschaften. Er hat immer gesagt: Du bist was Besonderes, und wenn du stotterst, spielt das keine Rolle. Wenn du was zu sagen hast, dann melde dich. Und wenn alle lachen, ist das egal. In den fünf Jahren, in denen wir später zusammen in dieser Firma gearbeitet haben, haben wir uns zwar auch gestritten wie die Kesselflicker. Aber er hatte anfangs auch viel Geduld mit mir.
Haben Sie sich mit Ihrem Sohn auch so gestritten?
Nein. Mein Sohn hat, ohne das wirklich durchschaut zu haben, eine bewusst apolitische Haltung eingenommen. Ich habe versucht, ihn an die Politik heranzuführen, über Zeitungsartikel, die ich ihm hingelegt habe.
62, ist Hamburger Reeder und gehört zu den reichsten Deutschen.
Er gründete die Unicef-Aktion "Schulen für Afrika", durch die mittlerweile 1.000 Schulen entstanden sind und die Hamburger Stiftung für Demokratie und Völkerrecht. Krämer ist Befürworter der Reichensteuer und kritisierte Spendenaktionen des Microsoft-Milliardärs Bill Gates.
Seine Reederei Marine Service ist ein Familienunternehmen, die er von seinem Vater übernahm. Einige seiner Frachter taufte er auf die Namen berühmter Widerstandskämpfer, wie etwa "Sophie Scholl" oder "Simón Bolivar". Krämer ist verheiratet und hat zwei Söhne.
War das seine Form der Revolte?
Ja, das meine ich. Während seine Eltern die Tagesschau guckten, guckte er RTL 2. Mittlerweile hat sich das Gott sei Dank geändert, er reist gerne und entwickelt ein Interesse an anderen Kulturen. Er wird bald in dieser Firma anfangen, und ich gehe davon aus, dass es mir dann gelingen wird, ihn zu politischen Veranstaltungen mitzunehmen.
Was nützt es einem Unternehmer, wenn er politisch ist?
Es nützt ihm materiell überhaupt nichts. Was nützt es einem Menschen, wenn er politisch ist? Und ich meine nicht die Parteipolitik. Das Leben besteht nicht nur aus Job, Frau und Kindern. Das wäre mir zu wenig, und ich wünsche mir, dass es auch meinem Sohn zu wenig ist.
Hätten Sie dem politischen Engagement in Ihrem Leben gern mehr Raum gegeben?
Das habe ich doch. Massiv während der Schulzeit über einen Zeitraum von vier, fünf Jahren. Später war ich bei großen Demonstrationen dabei und habe 2003 ganzseitige Anzeigen gegen den Irakkrieg geschaltet. Darunter stand mein Name. Das war das Ungewöhnlichste, was man bislang aus der Hamburger Reederschaft vernommen hatte.
Hauptberuflich sind Sie aber Unternehmer und werden für manche Entscheidung kritisiert. So hat Ihnen Ver.di vorgeworfen, Steuern zu sparen, indem Sie Ihre Schiffe unter liberianischer Flagge fahren lassen. Ist das nicht inkonsequent?
Ich kann diesen Laden ja nicht am Markt vorbei führen. Ich habe mit meinen Schiffen ohnehin Verluste. Wenn ich die Mehrkosten der deutschen Flagge abziehe, sind sie noch höher. Das habe ich den Ver.di-Leuten erklärt, und die haben inoffiziell gesagt: Sie haben Recht.
Es ist trotzdem ambivalent.
Das empfinde ich nicht so. Ich stehe im internationalen Wettbewerb. Soll ich deutsche Flagge fahren und wissen, dass ich in einem Jahr zumachen muss? Soll ich das aus Edelmut tun?
Edelmut ist doch Ihr Thema.
Aber nicht Selbstmord. Wenn man keine Gewinne einfährt, kann man auch nichts verteilen.
In der Reichensteuerdebatte haben Sie genau das kritisiert: Reiche, die milde Gaben verteilen.
Ich möchte nicht in den Gusto von Milliardären oder Millionären stellen, was gefördert wird und was nicht. Es ist die Aufgabe des demokratisch gewählten Staates, Prioritäten zu setzen.
Kann man sagen, dass Sie sich in der Rolle des Redners wohler fühlen als in der des Unternehmers?
Gerade jetzt, wo der Unternehmer immer mehr in die passive Rolle gedrängt wird, weil er von der Entwicklung der Finanzmärkte abhängig ist: ja.
Wenn Sie noch mal anfangen könnten: Würden Sie sich wieder gegen das Lehramt entscheiden?
Ich bereue nichts. Es ist so gekommen, wie es gekommen ist. Meine Eltern waren da sehr geschickt. Sie haben gesagt: Peter, das ist ja alles lobenswert, aber für den Lehrerberuf bist du zu weich. Ob das gestimmt hätte, kann ich heute nicht mehr beurteilen. Es macht mir immer noch eine Riesenfreude, Vorträge vor Schülern zu halten. Da rede ich dann über mein Projekt „Schulen für Afrika“, und es wird nicht langweilig. Ein Lehrer dort hat mal zu mir gesagt: Sie sind der Kuckuck, der einmal im Jahr auftaucht. Wir armen Schweine müssen die Schulklasse viermal in der Woche interessieren.
Spielen Sie eigentlich gern den Kuckuck?
Das hat ja keinen Eigenwert. Es gibt eine sehr schöne Erzählung von Thomas Mann, „Tonio Kröger“, der sagt: „Meine ganze Liebe gehört den Blonden und Blauäugigen – obwohl ich weiß, niemals zu ihnen zu gehören.“ Das heißt: Eine tiefe innere Einsamkeit ist da. Aber ich stehe dazu.
Sie werden der rote Reeder genannt.
Das finde ich plakativ.
Aber Sie spielen diese Sonderrolle bewusst. Man könnte meinen, Sie mögen den großen Auftritt.
Wenn es nur das ist, dann ist es ein eitles Gespreize. Wenn es aber darum geht, junge Menschen zu motivieren oder ein Thema nach vorne zu bringen, dann macht mir der öffentliche Auftritt Spaß. Kein Politiker, kein Journalist kann seinen Beruf mit Ernsthaftigkeit ausfüllen, wenn er nicht in diesem Sinne eitel ist: Er meint, etwas zu sagen zu haben.
Sie sind weder Politiker noch Journalist.
Ich habe einen erweiterten Politikerbegriff. Man muss nicht einer Partei angehören, um politisch etwas verändern zu können. Dafür bin ich mit „Schulen für Afrika“ ein Beispiel. Das ist die mittlerweile weltgrößte Bildungsinitiative privater Art, durch die wir die Schul- und Lebensbedingungen von zwölf Millionen Kindern verändert haben. Man kann als Einzelner die Welt verändern.
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