Reden über geflüchtete Frauen: Puh, diese armen Frauen!
Bei einer Debatte der Integrationsverwaltung über „Geflüchtete als Expert*innen ihrer selbst“ sind geflüchtete Frauen abwesend.
Die erste Erkenntnis: Geflüchtete Frauen haben andere Bedürfnisse und Probleme beim Ankommen als Männer. Die zweite: In der öffentlichen Diskussion kommen die Frauen bisher oft zu kurz. Die Senatsveraltung für Integration und Soziales ist deshalb nicht die einzige Organisation, die sich derzeit der Situation geflüchteter Frauen annimmt.
Für Montag lud sie zur Diskussion über „Frauen und Flucht“ ein. Angekündigt waren Fachexpert*innen sowie „Geflüchtete als Expert*innen ihrer selbst“. Und das wäre dann die dritte Erkenntnis: dass nämlich die von Flucht betroffenen Frauen eine ganze Menge Wissen über Flucht und Ankommen mitbringen, dass es sich lohnt, ihnen zuzuhören, und dass sie viele Vorschläge machen könnten, wie sich die Hindernisse angehen ließen, die ihre Möglichkeiten in Deutschland bisher teils massiv einschränken.
Doch ausgerechnet diese dritte Erkenntnis schaffte es nur bis ins Einladungsschreiben. Auf dem Podium saßen Mitarbeiter*innen von Verwaltung, Hilfsorganisationen und Beratungsstellen und eine Integrationslotsin – weil sie alle mit geflüchteten Frauen arbeiten. Von ihnen wollte die Moderatorin wissen, welche Bedarfe geflüchtete Frauen haben. Das Expert*innenwissen geflüchteter Frauen fand so nur um die Ecke vermittelt Eingang in die Diskussion.
Klar, Sprachkurse mit Kinderbetreuung, schnelle Anerkennung von Abschlüssen oder langfristig angelegte berufliche Qualifizierung, Schutz vor Gewalt, Zugang zum Gesundheitssystem, Familienplanung und Wohnungssuche sind wichtige Aspekte, zu denen die Fachexpert*innen auf dem Podium kluge Gedanken zusammentrugen. Doch in ihren Antworten lag der Fokus eben doch sehr stark darauf, was geflüchtete Frauen alles nicht wissen.
Außerdem geriet aus dem Blick, dass nicht alle Frauen mit all diesen Problemen auf einmal zu kämpfen haben. Auch aus dem Publikum meldeten sich Menschen zu Wort, die sich als ehrenamtliche Sprachlehrer*innen oder Sozialarbeiter*innen in Heimen vorstellten. Der Einzige, der sich nicht auf Deutsch, sondern – dank Sprachmittler – auf Arabisch einbrachte, war ein Mann, der erklärte, wie das patriarchale System Frauen unterdrückt. Was hängen blieb: Puh, diese armen Frauen.
Die Veranstaltung hinkte damit hinter dem in der Einladung formulierten Anspruch zurück, denn keine einzige geflüchtete Frau sprach als „Expert*in ihrer selbst“. Um nicht nur über sie, sondern um mit ihnen zu reden, hätte die Senatsveraltung sich trauen müssen, diese Expert*innen auf das Podium zu setzen. Doch das kann schnell unbequem werden: Gleichberechtigte Gesprächspartner*innen machen nicht nur Vorschläge. Sie stellen auch Forderungen.
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