Redaktionsbesuch bei „Essen & Trinken“: Der Star ist die Küche

Seit 40 Jahren erklärt „Essen & Trinken“ dem Toskanadeutschen, wie auch er gut kochen kann. Der neue Chefredakteur hat das Heft leichter verdaulich gemacht.

Lecker-popecker: In der Versuchsküche wird schon wieder irgendeine Schweinerei zubereitet. Bild: Essen & Trinken

HAMBURG taz | In die Kantine geht Clemens von Luck höchstens noch „aus sozialen Gründen“, wenn ihn dort jemand treffen will, jemand, der keine Ahnung hat – zumindest nicht vom besten Essen bei Gruner + Jahr. Das nämlich gibt es in von Lucks Redaktion.

Als stellvertretender Chefredakteur von Essen & Trinken ist er seit gut einem Jahr auch einer der Herren über die wohl geschmackvollste Einrichtung des Verlagshauses am Baumwall: die Essen & Trinken-Küche, die nach dem Willen der PR-Abteilung in Artikeln bitte nicht Versuchsküche heißen soll. Das klingt zu sehr nach Labor, nicht nach Genuss. Irgendwas steht dort zum Probieren immer auf dem langen Tresen und anders als im Labor in der Regel was Leckeres.

Dass es auch schmeckt, jetzt der Redaktion und wichtiger noch später den Lesern, ist die Aufgabe von Achim Ellmer und seinem Team, neun festangestellten Köchen mit Redakteursverträgen, die alle Rezepte, die in Essen & Trinken und dem Ableger Essen & Trinken für jeden Tag sowie Living at Home erscheinen, entwickeln und zweimal probekochen.

Damit es auch zu Hause gelingt, bereitet dann einer der Küchenpraktikanten, zumeist Ökotrophologiestudenten, das Gericht ein letztes Mal zu, wie gerade Britta Fahnemann die Lachs-Garnelen-Bällchen mit scharfem Möhrensalat für den „Sex and the City“-Videoabend der Living at Home-Leserinnen. Die gelernte Köchin – es gibt aber auch Anglistikstudenten unter den Praktikanten – hat das Salz im Rezept nach Rücksprache mit ihren Kollegen durch asiatische Fischsauce ersetzt und nur die Hälfte von den Sesamkörnern genommen, die laut Rezept an die Möhren gehören.

Fürchte dich nicht, Hobbykoch!

Konstruktive Mitarbeit ist gefragt: „Bei uns müssen die Praktikanten nicht Kaffee kochen oder abwaschen“, sagt Küchenleiter Ellmer, „sondern die Arbeit von uns Köchen überprüfen.“ Das ist die „Essen & Trinken-Garantie“, mit der das Heft schon auf der ersten Seite wirbt: „Jedes Rezept 3x gekocht.“ Die Botschaft an den Hobbykoch: Fürchte dich nicht, das wird schon.

In diesem Jahr wird Essen & Trinken 40 und verlost unter anderem jeden Monat einen Mitarbeiter für einen „kulinarisch außergewöhnlichen Tag“, darunter auch die Köche, die unter dem neuen Chefredakteur Stephan Schäfer zu kleinen Stars avanciert sind. War die Versuchsküche früher „eher ein großes Geheimnis“ (Ellmer), taucht sie nun regelmäßig im Heft auf und damit auch die Menschen, die darin arbeiten.

Auch die Dienstreisen sind neu. Auf so einen Genusstrip, der später mit Produkttipps, Restaurantempfehlungen und natürlich Rezepten im Heft nachvollzogen wird, bereitet sich gerade Koch Marcel Stut vor. Es geht nach Antwerpen und Stut hat sich in den Kopf gesetzt, von dort ein Rezept für Garnelenkroketten mitzubringen. Eines, das funktioniert. „Die Angaben hier stimmen hinten und vorne nicht“, sagt Stut während er den Teig anrührt und unvermittelt fühlt man sich in einen Essen & Trinken-Werbespot versetzt: „Rezepte, die man ausm Internet zieht, funktionieren in der Regel nicht.“

Essen & Trinken lebt in friedlicher Koexistenz mit Onlineangeboten wie chefkoch.de – mittlerweile auch in G+J-Besitz –, aber auch in der Gewissheit, was Besseres zu sein. Von 80.000 bisher abgedruckten Rezepten ist die Rede – „kein einziges doppelt“, beteuert Vizechef von Luck (worüber sich nicht zuletzt auch die Essen & Trinken-Köche freuen).

Mehr als nur Kochanleitungen

Man will ohnehin mehr liefern als Kochanleitungen. „Unsere Leser müssen sich darauf verlassen können, dass wir alle kulinarisch relevanten Entwicklungen in Deutschland und weltweit abbilden“, sagt von Luck. Distinktion ist der 21-köpfigen Redaktion so wichtig wie ihren Lesern. Ein Essen & Trinken-Abo gehört zur bürgerlichen Grundausstattung wie eines fürs örtliche Stadttheater, volle Billy-Bücherregale und der Lieblingswinzer in Südfrankreich.

Nein, leicht zufrieden zu stellen ist dieses Publikum nicht. Umso mehr freut sich Achim Ellmer über Leser, die ihm erzählen, „Essen & Trinken ist aber viel einfacher geworden“, und, wenn er schon auf eine Standpauke gefasst ist, nachschieben, „aber ich koche viel mehr daraus.“ Das war das Ziel von Chefredakteur Stephan Schäfer bei seinem Amtsantritt im Dezember 2010: das Heft nahbarer zu machen. Zwei Drittel der Rezepte seien für jeden Tag geeignet, ein Drittel sei ambitionierter, schätzt Küchenchef Ellmer, „bevor Herr Schäfer kam, war es umgekehrt.“ Er wirkt nicht, als würde er den alten Zeiten nachtrauern.

Seit 16 Jahren kocht Achim Ellmer für Essen & Trinken und hat in dieser Zeit fünf Chefredakteure überlebt. Sein sechster, Stephan Schäfer, ist der "Mr. Cocooning" von Gruner + Jahr, Spezialist fürs Wohlfühlen in den eigenen vier Wänden. Inzwischen verantwortet er vier Titel – Schöner Wohnen, Essen & Trinken, Essen & Trinken für jeden Tag und Couch, ab Mai kommt mit Häuser noch ein fünfter dazu. Mit Erfolg: Im vierten Quartal 2011 erzielte Essen & Trinken ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, verkaufte knapp 191.000 Exemplare.

Saftige Kritik vom "FAZ"-Gastrokritiker

Die publizistische Entwicklung von Essen & Trinken schmeckt aber nicht jedem. Gastrokritiker Jürgen Dollase, der unter anderem für FAZ und FAS schreibt, vermisst wie auch bei der Konkurrenz vom Feinschmecker „das Bemühen, mehr an die Basis zu gehen, die Architektur des Essens zu vermitteln und so die deutsche Esskultur weiterzuentwickeln, anstatt ständig Minitrends auszurufen.“

Dieses Perpetuieren des Bekannten ist ihm ein Graus. Dollases Feindbild sind die „Redundanzesser“, die Essen & Trinken bediene. Seinem „wissenschaftlichen Blick“ aufs Essen hält kein Hobbykoch stand. Der „explosionsartigen Entwicklung der Spitzenküche in den letzten fünf Jahren“ hinke der Hausgebrauch mit seinem Aromadoping hoffnungslos hinterher, kritisiert Dollase. Zwei Welten prallen aufeinander: die des Präzisionshandwerks und die der genussorientierten Laien. Versöhnung ausgeschlossen.

In der Essen & Trinken-Küche kümmert sich Achim Ellmer heute um die Grillsalate für die Juniausgabe. In der Woche zuvor wurde im Innenhof angegrillt. Ende Februar. Drei Monate Vorlauf hat das Heft – was dazu führt, dass beim Probekochen nicht die später im Heft propagierten saisonalen und regionalen Produkte verwendet werden können. Den Fotos sieht man das später nicht an, „aber man schmeckt den Unterschied“, ist sich Ellmer sicher.

Sein Nudelsalat, für den Spaghetti Carbonara Pate standen, ist ganzjährig machbar – sofern man auf Tiefkühlerbsen zurückgreift: In einer Sauce aus Kuh-, Ziegenfrischkäse und Nudelwasser treffen sich Penne, Kochschinken, Parmesan und die Erbsen, garniert mit Spalten gekochter Eier. Ein schlichtes Rezept, das auch den Lesern von Essen & Trinken für jeden Tag zumutbar wäre, eher unerfahrenen Hobbyköchen, die ein bisschen Abwechslung auf ihren Esstisch bringen möchten.

Die Fotos für den Ableger entstehen gleich im Raum gegenüber – kurze Wege. Gerade werden eingefrorene Hamburgerpattys abgelichtet. „So zieht sich das Fleisch beim Braten später nicht zusammen“, erklärt Köchin Marion Heidegger. Und Redaktionsfotograf Matthias Haupt erläutert die Bildsprache: „Es soll authentisch sein, gut aussehen, aber auch so, dass sich jeder rantraut.“

Fotos ohne Haarlack

Die Fotos fürs Mutterheft hingegen entstehen in der Regel in externen Fotostudios – vor Ort frisch zubereitet von einem Essen & Trinken-Koch und so appetitlich in Szene gesetzt, "dass du am liebsten mit der Gabel ins Heft stechen möchtest" (von Luck) – ohne Tricks wie Haarlack. Alles ist essbar, wenn auch vielleicht nicht mehr ganz heiß.

Unter den freiberuflichen Foodstylisten sind laut Ellmer „auch einige unserer ehemaligen Praktikanten“. Ein Weg, den auch Britta Fahnemann nach mehr als 20 Jahren in Profiküchen einschlagen möchte – endlich normale Arbeitszeiten bei vernünftiger Bezahlung. Das schätzen auch die Essen & Trinken-Köche an ihrem Job.

Für Profis ungewöhnlich: Marcel Stut hat einen „randvollen“ Kühlschrank zu Hause und kocht abends sogar noch für seine Freundin, „weil sie diesen Luxus hier ja nicht hat.“ Der Preis: Stut hat in den sechs Jahren bei Essen & Trinken sieben Kilo zugenommen. Auffällig übergewichtig ist aber niemand. Aufgegessen wird hier nicht, nur probiert. Die Reste holt abends die Hamburger Tafel ab.

Nicht sklavisch bio

„Marcel, brauchst du noch was von Rewe?“ fragt Kollegin Marion. Marcel verneint und wendet sich wieder diesen verflixten Garnelendingern zu. Die meisten Lebensmittel bezieht die Essen & Trinken-Küche von Vertragshändlern, nicht sklavisch Bio, „ein konventioneller Apfel aus dem Alten Land ist mir lieber als einer mit Biosiegel aus Neuseeland“ (Ellmer), aber irgendwas fehlt immer. Und das kommt dann eben aus dem Supermarkt um die Ecke. Wie bei den meisten Lesern auch. „Unser Anspruch ist, dass man alle Zutaten auch in einer mittelgroßen Stadt wie Kassel bekommen muss“, sagt Vizechef von Luck.

Ansprechpartnerin für die Leser bei Essen & Trinken ist Andrea Meinköhn. Auf einer Doppelseite beantwortet sie in jedem Heft Fragen zur Herstellung von Trüffelhonig oder zum richtigen Korkenzieher für alte Rotweine. 80 Prozent der etwa 100 in der Woche an sie herangetragenen Probleme könne sie lösen, schätzt Meinköhn, „passen musste ich etwa beim Rezept für das in Chile und Peru beliebte Meerschweinchenragout.“ Oft genug leistet die Quereinsteigerin – den Job lernte die Grafikerin von ihrer legendären Vorgängerin Karin Hellwig – „ambulante Hilfe“, wenn etwa die Zabaione nicht gelingt.

Meist wird Meinköhn dabei in ihrem Gedächtnis oder ihrer Rezeptdatenbank fündig, aber manchmal geht sie auch schnell rüber in die Küche, um den Köchen einen Trick zu entlocken. „Der Leserservice ist ungemein wichtig für uns“, sagt Vizechef von Luck, „auch als Dankeschön für die Treue unserer Leser.“ Und trotzdem wurde der Generationswechsel im Leserservice dafür genutzt, die Stelle zu halbieren.

Nobody cooks perfect

Auch von Luck, „kein Sternekoch, ein Gernekoch“ wie seine Leser, hat schon „unfasslich viel“ von den Essen & Trinken-Köchen gelernt, zum Beispiel das Geheimnis guter Bratkartoffeln. Die Pfanne ohne Öl knallheiß werden zu lassen, dann erst das Öl hineinzugeben und schließlich die nicht zu dünn geschnittenen Kartoffelscheiben, auf keinen Fall übereinander!, sei aber nur die halbe Miete.

„Der größte Trick für mich war es, Vertrauen zu haben“, sagt er. „Vertrauen darauf, dass die Kartoffeln nicht anbrennen, auch wenn ich sie nicht andauernd wende.“ Auch dafür gibt es in der neuen Essen & Trinken eine Rubrik, die „Erkenntnisse aus der Küche“ auf der letzten Seite. Sie runden das Essen & Trinken-Gefühl ab: Nobody cooks perfect – noch nicht mal die Profis vom Hamburger Baumwall.

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