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Rechtsstaatsverfahren der EUKein Risiko mehr in Polen

Brüssel will das Rechtsstaatsverfahren gegen Polen einstellen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen spricht von einem „Durchbruch“ für das Land.

Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen, und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen verstehen sich gut

Brüssel taz | Es ist eine Premiere: Zum ersten Mal will die EU ein Rechtsstaatsverfahren gegen ein Mitgliedsland einstellen. Und das, noch bevor alle Mängel abgestellt sind. In Polen bestehe „kein klares Risiko mehr für einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit“, erklärte die EU-Kommission in Brüssel. Deshalb solle das Prozedere so schnell wie möglich beendet werden.

Das sogenannte Artikel-7-Verfahren war Ende 2017 eingeleitet worden. Es richtete sich gegen die damals amtierende rechtskonservative PiS-Regierung. Wegen mehrerer Eingriffe in die Justiz hatte Brüssel eine Untersuchung angeordnet und Milliardenzahlungen aus dem EU-Budget auf Eis gelegt. Damit soll nun Schluss sein.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „Durchbruch“ und gratulierte Ministerpräsident Donald Tusk persönlich. Tusk führt eine proeuropäische Regierung und hat ein gutes Verhältnis zur deutschen EU-Chefin. Beide hatten das Ziel, das leidige Rechtsstaatsverfahren noch vor der Europawahl im Juni zu beenden.

Das „Happy End“ kommt gerade rechtzeitig. Doch es wirft etliche Fragen auf. Denn vollständig wiederhergestellt ist der Rechtsstaat in Polen noch nicht. Einige Reformen dürften noch Jahre dauern, bis sie umgesetzt sind. Dennoch hat Kommissionspräsidentin von der Leyen bereits im Dezember begonnen, zurückgehaltene EU-Gelder auszuzahlen. Insgesamt darf Warschau bis 2027 mit der stolzen Summe von 136 Milliarden Euro rechnen.

In Brüssel spricht man von einer „Belohnung“ für Tusk und seinen EU-freundlichen Kurs. Insider des EU-Apparats verweisen auch auf die Tücken des polnischen Regierungssystems. Tusks Reformen könnten noch von Präsident Andrzej Duda ausgebremst werden, der die Verstöße gegen den Rechtsstaat gedeckt hat. Das will die EU mit ihrer Entscheidung offenbar verhindern – und Tusk den Rücken stärken.

EU-Kommission will sich auf Ungarn konzentrieren

Von der Leyen drückt dabei auch schon mal ein Auge zu. So hatte Tusk als eine seiner ersten Amtshandlungen die gesamte, PiS-nahe Führungsriege der öffentlich-rechtlichen Medien entlassen. Ob dabei alles mit rechten Mitteln zugegangen ist, ist unklar. Brüssel schwieg in der Causa.

Für die EU-Kommission zählt vor allem, dass Polen den Vorrang des EU-Rechts anerkannt und die nötigen Reformen eingeleitet habe. „Dies zeugt von der Widerstandsfähigkeit von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Europa“, freut sich von der Leyen. Sie hofft, dass die Europaminister bei ihrem Treffen am 21. Mai das erste Rechtsstaatsverfahren abhaken.

Künftig will sich die EU-Kommission aber vor allem auf Ungarn konzentrieren. Es ist das einzige Land, gegen das noch ein sogenanntes Artikel-7-Verfahren läuft. Ungarn übernimmt noch dazu am 1. Juli den EU-Vorsitz. Brüssel hat der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán zwar bereits erste Fortschritte attestiert. Doch das Europaparlament sieht das völlig anders.

Es wirft CDU-Politikerin von der Leyen und ihrer Behörde Willkür vor und hat sogar eine Klage vor dem höchsten EU-Gericht eingereicht. Der Streit um den Rechtsstaat ist zum großen Politikum geworden. Nicht nur in Polen, sondern auch in Ungarn.

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