Rechtspopulisten zum Massaker in Norwegen: "Wir sind unschuldig"
Anders Behring Breivik war acht Jahre lang Mitglied des Jugendverbands der rechten Fortschrittspartei. Wie die "Islamkritker" auf das Massaker reagieren.
STOCKHOLM taz | "Wir sind ein unschuldiges Opfer", beklagt sich Siv Jensen, die Vorsitzende der Fortschrittspartei, in einem Fernsehinterview. "Genauso abscheulich wie das, was geschehen ist, ist es aber, wie einzelne Medien versuchen, eine Verbindung zwischen uns und der Untat dieses Mannes herzustellen." Obwohl Anders Behring Breivik acht Jahre lang Mitglied des Jugendverbands ihrer Rechtsaußenpartei war, die bei den Wahlen vom September 2009 auf 22,9 Prozent der Stimmen kam und die zweitstärkste Fraktion im Parlament stellt, lehnt Jensen jede Mitverantwortung für das Massaker ab.
"Natürlich hat die Fortschrittspartei nicht zu Gewalt aufgefordert", meint Daniel Pohl, Chefredakteur der antirassistischen Zeitschrift Expo. Aber die Ideenwelt, in der sich Breivik bewegt habe, finde man bei Parteien wie der norwegischen Fortschrittspartei oder den Schwedendemokraten. Und man könne die Handlungen eines Individuums nicht abtrennen vom politischen Milieu, in dem es sich bewege: "Ebenso wie Dschihadisten, die bereit sind, sich in die Luft zu sprengen, ihre Inspiration bei den etablierteren Verfechtern des Islamismus finden."
Jimmie Åkesson, der 32-jährige Vorsitzende der Schwedendemokraten, sieht das freilich ganz anders. Er könne gar nicht verstehen, so gab er der Tageszeitung Dagens Nyheter zu Protokoll, warum sich Breivik positiv auf seine Partei beziehe und sie dafür lobe, als einzige schwedische Partei "die Unruhe der meisten Schweden wegen der Einwanderungs- und Integrationspolitik des Landes" ernst zu nehmen. Ansonsten hat Åkesson, dessen Partei mit 5,7 Prozent der Stimmen letztes Jahr erstmals der Sprung in den schwedischen Reichstag gelang, kein Problem damit, wenn ein Kommunalpolitiker seiner Partei Sinti und Roma als "Heuschrecken" bezeichnet oder der außenpolitische Sprecher die Islamisierung die größte Bedrohung Europas nennt.
Bedauerlich finden es auch die "Wahren Finnen", die im Februar dieses Jahres mit 19,1 Prozent zur drittstärksten Partei des Landes wurden, wenn man sie mit dem Massaker von Oslo in Verbindung bringt. Der Abgeordneter Jussi Halla-aho, der auf seiner Internetseite Texte mit Titeln wie "Warum Rasse bedeutend ist" veröffentlicht und schrieb, dass Frauen, die für eine multikulturelle Gesellschaft seien, von ausländischen Männern vergewaltigt werden müssten, damit sie zur Vernunft kommen - meint nun, er könne ja nichts dafür, wenn andere Menschen seine Ansichten teilten. "Und Breivik ist eben ein kranker Mensch."
Nur ein Psychopath
Von einem "gewalttätigen Psychopathen" spricht auch der in der islamkritischen Szene geschätzte norwegische Blogger Fjordman, den Breivik in seinem "Manifest" kapitelweise zitiert. Er habe "ihn nie getroffen" und "bedauere es außerordentlich, dass er mich zitiert", gibt Fjordman der Tageszeitung VG zu Protokoll. "Ich habe nie für Gewalt plädiert." Breivik sei "ein Monster". Es sei absurd, Islamkritikern eine Mitverantwortung anzuhängen, wenn ein Psychopath "auf das eigene Volk, noch dazu auf Nichtmuslime" schieße.
Sind die Betreiber eines Internetforums wirklich nicht verantwortlich, "wenn dort eine hysterische Debatte nur zu häufig die Grenze zum Hass überschreitet?", fragt Helge Øgrim, Redakteur der norwegischen Fachzeitzeitschrift Journalisten. Und können sie wirklich die Augen davor verschließen, "welch bedeutenden Einfluss das auf Menschen hat, die sich von anderen Eindrücken isolieren"? Er verweist dabei vor allem auf das norwegische Webforum document.no, wo sich mindestens 75 Beiträge von Breivik finden, in denen dieser seinen Hass auf Muslime und Linke kundtut.
Nein, antwortet der Verantwortliche für das Forum, Hans Rustad, in einem Interview mit der Tageszeitung Klassekampen. Das sei eine legitime Debatte, solange niemand zur Gewalt auffordere. Im Nachhinein könne man aus Breiviks Beiträgen natürlich "Andeutungen" herauslesen. "Zensur" sei aber kontraproduktiv und könne zu einer weiteren Radikalisierung führen.
Im eigentlich Sinne schuldig sei der Täter, entgegnet Øgrim. "Aber wir müssen uns fragen, ob es gefährlicher ist, als wir bislang gedacht haben, wenn sich virtuelle politische Ghettos entwickeln, in denen sich Menschen mit extremistischen Ansichten in Debatten gegenseitig hochschaukeln."
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