Rechtsextreme wollen Vormünder werden: Minderjährige Flüchtlinge in Gefahr
Die Identitäre Bewegung ruft auch in Hamburg dazu auf, Vormundschaften für minderjährige Flüchtlinge zu übernehmen. Ihr Ziel ist es, Abschiebungen zu befördern.
Seit Samstag ist der Aufruf bei der Hamburger IB um Stefan Lüdtke online. Ein Link führt zur bundesweiten Seite des rechtsextremen Netzwerkes. Hier wird auf die Ermordung einer 15-Jährigen in Rheinland-Pfalz durch einen Afghanen verwiesen, der als minderjähriger Flüchtling eingereist war; gefolgt von dem Aufruf: „Jetzt Flüchtlingsvormund werden!“. Nicht ohne die Debatte um das Alter von Flüchtlingen weiter anzuheizen: Der Grund für das grundsätzlich unterstellte „Herunterlügen des eigenen Alters“ sei schnell gefunden, schreibt die IB. Die Kinder und Jugendlichen würden besondere Privilegien genießen und sie würden „praktisch nie“ abgeschoben.
Der Aufruf der Hamburger ist in die bundesweite IB-Kampagne „Kein Opfer ist vergessen“ eingebettet. Im vergangen Jahr startete sie mit der Begründung, dass „die Opfer von Multikulti, Masseneinwanderung und Islamisierung“ zu „Opfern zweiter Klasse degradiert“ würden.
An der Elbe hat die IB in der vergangenen Woche eine Tafel an einem Supermarkt in Barmbeck aufgestellt. Hier hatte am 28. Juli vergangenen Jahres ein abgelehnter palästinensischer Asylbewerber einen Kunden erstochen und sechs weitere Personen verletzt. Eine Antifa-Initiative entfernte die Tafel und stellte stattdessen eine auf, in der all den Menschen mit ihren „unterschiedlichen Nationalitäten“ gedankt wird, die sich damals dem Täter entgegenstellten.
Aus verständlichen Gründen, so heißt es bei der IB, hätten bisher „viele Patrioten“ es gescheut „sich selbst in der Flüchtlingspolitik zu engagieren“. Glaubt man den Ausführungen der Hamburger IB, die rund 30 Anhänger haben soll, hat sich die Gruppe bereits von Fachleuten zum Thema Vormundschaft beraten lassen und will eigene Schulungen anbieten.
Falsche Angaben
Die Angaben der Rechtsextremen zur Vergütung der Vormundschaften stimmen allerdings nicht. „Die Zahlen gehen durcheinander“, sagt Sevil Dietzel, Projektleiterin für Vormundschaften beim Hamburger Landesverband des Deutschen Kinderschutzbundes. Die entscheidenden Stellen bei den Familiengerichten seien schon über die Kampagne der IB informiert wurden. „Wir nehmen das ernst“, sagte sie der taz.
Der von der IB erweckte Eindruck, man könne schnell Vormund- oder Patenschaften übernehmen, stimme nicht. Zusätzlich zu den Schulungen fänden Gespräche mit den Interessierten statt: „Intensive Gespräche, in denen wir mit den Ehrenamtlichen auch über Erfahrungen mit anderen Kulturen und eigenem Fremdsein sprechen“, sagt Dietzel. Sie fürchtet, dass Vormünder aus den Kreisen der IB das gerade bei minderjährigen Flüchtlingen gebotene Vertrauen bei der Betreuung missbrauchen könnten.
Rettungsmissionen behindert
Im Aufruf der IB heißt es, dass ihre „Aktivisten“ den Behörden Verdachtsmomente von Missbräuchen meldeten. Man wolle bei den Flüchtlingen „falsche Erwartungen an ihr Gastland“ korrigieren und „über eine Zusammenführung mit ihrer Familie in ihrer Heimat“ sprechen.
Bereits 2017 ging die IB mit ihrer Kampagne „Defend Europe“ gezielt gegen Flüchtlinge und Initiativen vor. Im Mittelmeer hatte sie das Schiff „C Star“ gechartert, um Rettungsmissionen von Nichtregierungsorganisationen zu behindern. In Bremen enterten sie als PR für diese Aktion das Segelschiff „Alexander von Humboldt“.
In Hamburg könnte es die Identitäre Bewegung mit der Umsetzung ihrer Pläne schwer haben: „Bei uns melden sich so viele engagierte Menschen, die weit weg von rechten Gedankengut sind“, sagt Sevil Dietzel vom Kinderschutzbund. Und wegen des Rückgangs der Flüchtlingszahl würden derzeit ohnehin nur wenige Vormünder benötigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis