Rechtsanspruch Kita-Platz: "Das ist ein Schritt zurück"
Kita-Expertin Ilse Wehrmann hält wenig von Bremens Plänen, den ErzieherInnen-Mangel durch niedrigschwellig ausgebildete, preiswerte SozialassistentInnen zu beheben.
taz: Frau Wehrmann, Bremen will Haupt- und Realschulabgängerinnen zu Sozialassistentinnen ausbilden, eine Ausbildungsstufe unter der Erzieherin. Ist das der richtige Weg, um mehr Betreuungsplätze für Unter-Dreijährige zu schaffen?
Ilse Wehrmann: Ich bekomme mit, dass Bremen sich bemüht, den ab 2013 geltenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz einzulösen…
… und dabei kreativ wird…
Ilse Wehrmann, 61, leitete 30 Jahre die Kindergärten der Bremischen Evangelischen Kirche. Seit 2007 selbständige Beraterin. Kunden: Daimler, RWE, Telekom. Sie ist die erste Headhunterin für Kita-Personal.
Ich habe Verständnis, dass eine finanzschwache Kommune nach Notlösungen sucht. Aber die Sozialassistentin ist wirklich ein Schritt zurück. Eigentlich müssten die mit den höchsten Bildungsabschlüssen zu den Kleinsten, weil alles weitere Lernen darauf aufbaut. Berlin hat als einziges Bundesland das Abitur zur Grundvoraussetzung der Erzieherinnen-Ausbildung gemacht - das ist der richtige Weg!
Aber warum sollten nur Abiturientinnen geeignet sein, Kleinkinder zu betreuen?
Gegen einen Personalmix ist gar nichts einzuwenden und ich glaube, dass es gut wäre, die Allgemeinbildung, soziale Kompetenz und die Fähigkeit, sich in Kleinkinder einzufühlen, in Eignungstests zu prüfen. Das käme auch Quereinsteigern zugute und gibt Selbstvertrauen.
Aber?
Aber in den Einrichtungen müssen Leute mit Hochschulstudium arbeiten, um die Qualifikation insgesamt anzuheben. Die Betreuerinnen brauchen eine gute Allgemeinbildung, um einerseits den Kindern diese komplexe Welt erklären zu können und andererseits mit den Eltern - die ja fast immer berufstätig sind - Erziehungsgespräche auf Augenhöhe führen zu können.
Eine andere Bremer Idee ist, in den Kitas für Drei- bis Sechsjährige die Zweieinhalbjährigen aufzunehmen, weil dort Platz ist. Was halten Sie davon?
Nichts, gar nichts. Es sei denn, man verändert die Ausstattung in den Einrichtungen so, dass sie auch Kleinkindern gerecht wird, und stellt ausreichend Erzieherinnen ein, die auf ihre Aufgabe auch vorbereitet sind.
Sollte man auf den Ausbau der Betreuung verzichten, wenn sie nicht auf hohem Niveau umgesetzt werden kann?
Nein. Man sollte sich nicht damit abfinden, dass die finanzpolitischen Prioritäten zuungunsten von Kindern gesetzt werden. Die meisten Kommunen können das nicht mit eigenem Geld schaffen. Ich erwarte von Bremen, dass offensiv dafür kämpft, dass der Bund die Kindergärten finanziert. Das muss das Land aus eigenem Interesse tun, um nicht weiter vom Süden abgehängt zu werden. Die Fachkräfte gehen heute dorthin, wo es gute Betreuungsangebote gibt.
In Bremen muss man nehmen, was man kriegen kann.
Individuell ist es verständlich, wenn Eltern sich damit abfinden, dass die Krippe nicht so ist, wie sie sich für ihr Kind wünschen. Aber doch nicht als Gesellschaft! Wir überlassen der nächsten Generation so viele Probleme - und dann rüsten wir sie nicht dafür aus, um damit fertig zu werden!
Sie sagen das alles schon so lange - hört Ihnen niemand zu?
In Bremen nicht, obwohl ich mich gerne mit der neuen Sozialsenatorin unterhalten würde. In anderen Bundesländern, vor allem im Süden und in Nordrhein-Westfalen ist das anders. Da erlebe ich Ministerpräsidenten, die der Idee aufgeschlossen gegenüber stehen, einen Vertrag zwischen Ländern, Kommunen und dem Bund abzuschließen, um die Kinderbetreuung über bundeseinheitliche Standards zu regeln und zu finanzieren.
Sie beraten nicht nur die Politik, sondern vor allem Unternehmen.
Ja, wenn ich am die Wirtschaft denke, da ist mir gar nicht bange um die Kinderbetreuung. Vor allem in den mittelständischen Betrieben stoße ich auf eine sehr große Offenheit, einfach weil sie ihren Mitarbeitern etwas bieten müssen. Neuen Schwung hat die Diskussion um die Frauenquote für Führungspositionen in das Thema gebracht.
Die Bremer Handelskammer meinen Sie aber nicht.
Stimmt. Ich verstehe auch nicht, warum die Politik in Bremen die Wirtschaft nicht stärker in die Pflicht nimmt. Da liegt richtig Potenzial brach.
Vielleicht weil man keine Elite-Kindergärten will?
Das will ich auch nicht. Aber man kann doch voneinander profitieren. In Nordrhein-Westfalen werden die Betriebskindergärten zu 91 Prozent öffentlich gefördert - und die müssen dafür 20 Prozent ihrer Plätze öffentlich vergeben. So hat RWE in Essen in einem sozialen Brennpunkt gebaut. Oder nehmen Sie Baden-Württemberg: Da haben Eltern die Wahl, ob sie ihr Kind in eine wohnortnahe oder eine betriebliche Kindertagesstätte geben. Der staatliche Zuschuss ist derselbe. Und Wahlmöglichkeiten brauchen wir ganz dringend. Solange die Not der Eltern so groß ist wie jetzt, wird sich an der Qualität nichts ändern. Konkurrenz belebt das System.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland