Rechte inszenieren sich als Terroropfer: Falsches Spiel um Aufmerksamkeit
Bremens AfD sagt ein Event mit Parteichef Gauland ab – wegen angeblicher „linksextremistischer Morddrohungen“. Die gab es so aber nicht.
HAMBURG taz | Es klingt nach einem großen Skandal, wenn man glaubt, was AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen da in der vergangenen Woche über Ereignissen in Bremen sagt. Von einer „schwarzen Stunde in der Geschichte unserer Demokratie“ spricht er und davon, dass der Rechtsstaat vor der Gewalt „kapituliert“ habe. Es klingt dramatisch und war doch mal wieder übertrieben, wie sich später herausstellte. Eine bekannte Strategie der AfD.
Was war passiert? Eigentlich sollte AfD-Bundessprecher Alexander Gauland am Samstag in Bremen auftreten. Doch die AfD sagte die Veranstaltung am Mittwoch ab. Dazu haben sie sich „gezwungen“ gesehen– „aufgrund linksextremistischer Morddrohungen“.
Drei Veranstaltungen waren geplant und zwar im „Event Center Deniz Saray“, der für die Ausrichtung türkischer Hochzeitsfeiern bekannt ist. Einen anderen Ort habe man in Bremen nicht finden können, erklärte AfD-Landeschef Frank Magnitz.
Aber Morddrohungen, von linker Seite, gegen die Familie eines Saalbetreibers für türkische Hochzeiten? Die Medien berichteten, auch die taz. Die Polizei bestätigte, dass ein Strafverfahren eingeleitet wurde, weil es zu Bedrohungen gekommen sein soll. Auch der Betreiber teilte mit, dass das AfD-Event nicht stattfinde. Weitere Auskünfte will er der taz bis heute nicht geben.
Staatsanwaltschaft dementiert
Nur einen Tag später aber meldete sich die Staatsanwaltschaft. Den Vorwurf der Morddrohungen könne er nicht bestätigen, teilte der Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft, Frank Passade, am Donnerstag mit.
Der Vermieter des Saals habe zwei anonyme Anrufe erhalten. Der erste Anrufer habe ihn gefragt, ob er sich die Ausrichtung der AfD-Veranstaltung gut überlegt habe und dass das Konsequenzen haben werde. Der zweite Anrufer habe den Saalbetreiber aufgefordert, der AfD abzusagen, weil die Dinge sonst eskalieren würden. „Da jetzt eine Morddrohung reinzuinterpretieren, halte ich für gewagt“, sagte der Staatsanwalt.
Frank Passade, Bremer Staatsanwaltschaft,
Zweifelsohne ist das Beschriebene als Drohung zu verstehen, doch weder geht es um Mord noch ist klar, wer die Anrufer waren. Vielmehr wiederholt sich eine bekannte Strategie der AfD: Trifft die Partei auf Widerstand, übertreibt sie und verbreitet Falschmeldungen, die mit den Registern des politischen Terrors spielen. Indem sie den politischen Gegner als blutrünstig darstellt, präsentiert sich die Partei als demokratisch. Und es wird einer Maxime gefolgt, die Bremens AfD-Chef Magnitz auch intern ausgibt: Aufmerksamkeit um jeden Preis.
Das hat in Bremen eine gewisse Tradition, die schon vor der Ära Magnitz begann. Im August 2013 trat der damalige Parteivorsitzenden Bernd Lucke bei einer Wahlkampfveranstaltung im Bürgerpark auf. Zwei Männer schubsten ihn während seiner Rede vom Podest. Tagelang wiederholten die Medien den angeblichen Messerangriff beim „Überfall an der Waldbühne“. Doch in einem Video konnte später jeder sehen: Lucke blieb auf den Beinen und beschwichtigte die besorgten Zuschauer unverzüglich.
Das angebliche Kantholz
Und dann jüngst die Causa Magnitz. Der Bremer AfD-Chef wird im Januar aus einer Gruppe von drei Unbekannten umgestoßen und stürzt, wodurch er eine Platzwunde an der Stirn erleidet. Das zeigt später ein Video. Doch stattdessen verbreitet Magnitz kurz nach der Tat unter anderem, dass er mit einem Kantholz angegriffen worden sei. Schon damals liest man ähnliche Sätze wie die der vergangenen Woche: „Heute ist ein schwarzer Tag für die Demokratie in Deutschland“ hieß es an prominenter Stelle in der AfD-Mitteilung.
Dass er gezielt „mediale Aufmerksamkeit“ durch „Betroffenheit“ habe erzeugen wollen, schrieb Magnitz später an die AfD-Mitglieder. Damit war er erfolgreich: Der Vorwurf des Mordversuchs fand weltweit Verbreitung. Und obwohl sich das als haltlos herausstellte, greift die AfD auch im aktuellen Fall wieder zu Übertreibungen, schreibt von Mord und Terror.
Was also kann man der Partei noch glauben? Etwa die jüngste Meldung vom Donnerstag, in der es heißt, dass Magnitz angezeigt habe, von einer Radfahrerin bespuckt worden zu sein?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen