Rechte Szene in Ungarn: Eingeladen zum "Tag der offenen Tür"
Militante Rechtsradikale trainieren mit Waffen in Ausbildungscamps. Auch deutsche Gleichgesinnte sollen an der Schulung teilgenommen haben. Jetzt ermitteln Polizei und Geheimdienst.
BUDAPEST taz | Die ungarische Polizei hat Ermittlungen gegen die rechtsradikale Szene aufgenommen. Die Behörden reagieren damit auf Medienberichte, wonach deutsche Neonazis an einem militärischen Trainingscamp in Ungarn teilgenommen haben sollen. Die späte Reaktion verwundert, da die Rechtsradikalen bereits seit Jahren Kampfübungen durchführen und auf YouTube sogar verherrlichen.
"Juden, Zigeunern und Schwulen ist der Zutritt verboten!", heißt es in der Hausordnung am Eingang zum Trainingslager am Fuße des Adelbergs in der Nähe des westungarischen Dorfs Böny. Hier führten ungarische Neonazis im Juli ihre militärische Schulung durch. An den "Tagen der offenen Tür" sollen auch deutsche Gleichgesinnte teilgenommen und Nahkampf und Schießen trainiert haben, berichtete kürzlich die deutsche Tageszeitung Junge Welt.
Schwachsinn nannte die rechtsextreme Gruppe MNA (Magyar Nemzeti Arcvonal, Ungarische Nationale Front) die Nachricht, dass auch Ausländer im Lager ausgebildet worden seien.
In den ungarischen Medien kursieren aber die Namen zweier Personen, die ungarisch-deutsche Doppelstaatsbürger sein sollen. Vermutungen zufolge stehen Róbert Lajdi und Károly Dobszay mit den deutschen Neonazis in Kontakt. Der scheidende ungarische Minister für Staatssicherheit Ádám Ficsor wollte eine deutsche Beteiligung an der Militärausbildung am Mittwoch weder bestätigen noch dementieren. Außer der Polizei untersuche auch der Geheimdienst den Fall, hieß es.
In ihrer Stellungnahme dementiert die MNA nicht, dass ihre paramilitärische Übung im Juli stattgefunden hat. Ihr Anführer, István Györkös, macht aus seiner Grundüberzeugung keinen Hehl. Kürzlich sagte er öffentlich: "Alle Juden lügen, alle und jederzeit." Györkös meint, dass "die neue Welt im Feuer, Schmutz und Blut geboren wird", und darauf bereite sich die MNA vor. Nach eigenen Angaben organisiert die Gruppe dazu mehrtägige Militärübungen in fast allen Regionen Ungarns.
Die ungarischen Neonazis versuchen längst nicht mehr, sich zu verbergen. Ihre Propagandavideos sind auf YouTube zu sehen. Gezeigt werden junge Männer in Tarnanzügen mit bemalten Gesichtern. Sie marschieren im Gleichschritt und üben Nahkampf in verlassenen Häusern. Auf einer Aufnahme sind 40 bis 50 Männer zu sehen, wie sie in einer Formation stehen.
Diese Kampfübungen seien der erste Schritt hin zu einer systematischen militärischen Ausbildung, sagt ein unabhängiger Experte. Die Männer hätten deutsche und russische Maschinenpistolen aus dem Zweiten Weltkrieg bei sich. Die schlechte Aufnahmequalität lasse aber keine eindeutige Einschätzung zu, ob die Gewehren echt seien.
Einige Videos sind zwei bis drei Jahre alt und wurden in den Bergen östlich von Budapest und in Böny aufgenommen. Dort hat die Neonazigröße Györkös nach der Wende den Schießplatz einer alten sowjetischen Kaserne gekauft. Erste Medienberichte über Ausbildungslager der Rechtsradikalen vom Mai diesen Jahres reichten jedoch offenbar nicht aus, dass die ungarischen Behörden einschritten.
In Ungarn glauben viele, dass die bis zum vergangenen April amtierende sozialistische Regierung nur halbherzig gegen die immer selbstbewusster werdenden Neonazis vorgegangen sei. Danach wäre das Kalkül gewesen, die nationalistische parlamentarische Opposition für die Radikalisierung der Rechten verantwortlich zu machen und von der eigenen katastrophalen wirtschaftlichen Bilanz abzulenken.
Die neue Krisenregierung scheint entschlossener zu sein, das Treiben der Neonazis zu unterbinden. Die ebenfalls rechtsradikale "Ungarische Garde" wurde per Gerichtsurteil verboten, und die Polizei behindert seitdem jeden Aufmarsch auf öffentlichen Plätzen. Die Demonstration am Todestag von Rudolf Hess wurde untersagt und der rechtsradikale Angriff auf die Budapester Homoparade im Keim erstickt. In Ungarn sind das Maßnahmen mit bislang unbekannter Härte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen