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Rechte Anschlagsserie in NeuköllnEs gibt noch viel mehr zu klären

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Ausgerechnet die FDP verhindert, dass im Neukölln-Untersuchungsausschuss AfD-Mitglieder sitzen. Das ist richtig, auch wenn die Taktik unklar bleibt.

Solidaritätsdemo in Neukölln 2018 nach einem wohl rechten Anschlag auf einen Buchladen Foto: imago

J ede demokratische Partei muss sich immer wieder fragen, ob sie noch gebraucht wird. Das gilt derzeit bundesweit vor allem für die Linke, in Berlin hingegen schon seit Jahren besonders für die FDP. Die One-Man-Truppe von Sebastian Czaja mit ihrer Ein-Thema-Agenda – die Offenhaltung von schrottigen Flughäfen beziehungsweise deren Bebauung, wenn sie dann geschlossen sind – trägt ihr Label „Liberale“ seit langem nur noch wie einen Ex-Lieblingspullover, von dem man sich aus sentimentalen Gründen nicht trennen kann, obwohl die Motten längst das meiste genüßlich verspeist haben.

Ausgerechnet bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zum Terrorkomplex Neukölln durch das Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag hat Czaja das gelb-löchrige Stück aus dem Schrank geholt. Denn es ist dem Abstimmungsverhalten einiger FDP-Abgeordneter zu verdanken, dass im Ausschuss keine Mitglieder der AfD-Fraktion sitzen werden. Es waren vor allem die FDP-Stimmen, sowie die je eines Abgeordneten von Linken und Grünen, die eine einfache Mehrheit für die AfD-Kandidaten Antonin Brousek und seinen Stellvertreter Karsten Woldeit verhinderten.

Dabei gibt es gute Gründe, Mitglieder der extrem rechten Partei von der Aufklärungsarbeit des Ausschusses auszuschließen. Schließlich ist ein ehemaliges AfD-Mitglied maßgeblich in die Anschlagsserie verwickelt. Einer der hauptverdächtigen Neonazis, Tilo P., war während der Anschlagsserie Beisitzer im Bezirksvorstand der AfD Neukölln. Es ist eine der Aufgaben des Ausschusses herauszufinden, welche Verbindungen zwischen der Partei und der Berliner Neonaziszene bestanden und vielleicht bestehen.

Die Befürchtungen, dass Erkenntnisse aus dem Ausschuss von den AfD-Mitgliedern an rechtsextreme Kreise weitergegeben und sie die Arbeit des Ausschusses damit konterkarieren, sind weit verbreitet in linken Kreisen und werden sogar von der Berliner CDU geteilt. Sie warf der AfD in der Debatte in dieser Hinsicht Befangenheit vor.

Klare Kante von Rot-Grün-Rot gegen Rechts sieht anders aus

Doch die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linke traute sich nicht, gemeinsam und offensiv die AfD-Mitglieder aus dem Ausschuss fernzuhalten. Stattdessen enthielten sich fast alle rot-grün-roten Abgeordneten bei deren Wahl. Konsequente Kante gegen rechts sieht anders aus.

Der Grund für dieses, im besten Fall diplomatisch zu nennende Wahlverhalten: Das Berliner Gesetz über die Untersuchungsausschüsse schreibt eindeutig vor, dass „jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied vertreten sein muss“. Somit stehen nun einige dringende rechtliche Fragen im Raum: Ist der Ausschuss überhaupt arbeitsfähig? Muss es nicht Ausnahmen geben können von dieser Vorgabe, sprich: Muss das Gesetz überarbeitet werden?

AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker sagte am Freitag, die Fraktion werde gegebenenfalls vor den Landesverfassungsgerichtshof ziehen. Ein Sprecher des Abgeordnetenhauses erklärte hingegen, der Ausschuss werde mit zehn statt mit elf Mitgliedern die Arbeit erst mal aufnehmen: „Der Ausschuss ist eingesetzt.“

Es ist richtig, dass die juristischen Fragen nun aufgeworfen und abschließend geklärt werden können – auch wenn das die Arbeit des Ausschusses vielleicht noch einmal verzögern könnte. Aber wir erinnern uns: Die gesamte letzte Legislatur hat die SPD im Regierungsbündnis diesen Ausschuss blockiert. Erst als auch vom damaligen SPD-Innensenator Andreas Geisel eingesetzte Sonderermittler peinlicherweise nicht voran kamen, rangen sich die Sozialdemokraten zu einem Ja zum Untersuchungsausschuss durch.

Angesichts dieser Vorgeschichte, angesichts der vielen Pannen bei der Ermittlungsarbeit, angesichts der Tatsache, dass die polizeilichen Erkenntnisse über die rechtsextreme Terrorserie derart dürftig sind, muss der Ausschuss sicher und ohne mögliche Spione in den eigenen Reihen arbeiten können.

In der Debatte war die FDP gegen den Ausschuss

Dass dies nun ausgerechnet dank der FDP passiert, ist zumindest ein bisschen überraschend. Zwar rühmt sich Sebastian Czaja in einer Stellungnahme gegenüber der taz nach der Abstimmung, dass die „Freien Demokraten klar und immer konstruktiv gegen Rechtsextremismus einstehen“ würden, wozu auch die „konsequente Abgrenzung gegenüber der AfD“ gehöre und man eben nicht mit der AfD stimme, erst recht nicht bei diesem Untersuchungsausschuss.

Allerdings hatte der FDP-Abgeordnete Stefan Förster noch in der Debatte keinerlei Notwendigkeit gesehen, den Untersuchungsausschuss überhaupt einzusetzen. Noch offene Fragen hätten auch im Innenausschuss geklärt werden können, begründete er die ablehnende Haltung seiner Partei. Nun mutmaßen manche, der von der FDP erwirkte Ausschluss der AfD-Mitglieder sei Parteitaktik, um den Ausschuss letztlich juristisch zu torpedieren.

Ob dem so ist, ob also Sebastian Czaja den liberalen Ex-Lieblingspulli am Morgen versehentlich aus dem Schrank gefischt hat, bleibt vorerst Spekulation – genauso wie die Frage, ob diese vermeintliche Taktik aufgeht. Von daher kann man sich an die Fakten halten: Die AfD arbeitet nicht in dem Ausschuss mit. Und das ist richtig so.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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