: Rebellen vor Machtübernahme in Kabul
■ Zehn afghanische Rebellenorganisationen einigten sich auf Bildung eines Übergangsrates/ Furcht vor Machtkampf unter Mudschaheddin-Gruppen bleibt/ Übergangsräte bestehen schon in vielen Orten
Kabul/Islamabad (dpa/afp) — Der Machtkampf in Afghanistan ist trotz der Allianz von Armee und gemäßigten Rebellengruppen noch nicht entschieden. Während sich der moderate Teil der Mudschaheddin auf eine friedliche Übernahme der Regierungsgewalt in Kabul einigte, blieb das Vorgehen der fundamentalistischen Gruppierungen am Montag weiter unklar. Der Militärrat, der am Donnerstag in Kabul Staatschef Nadschibullah entmachtete, signalisierte seine Bereitschaft zur friedlichen Machtübergabe.
Nach Angaben aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad wurde noch für Montag abend in der pakistanischen Grenzstadt Peschawar die Benennung eines Rates zur Regierungsübernahme der Mudschaheddin in Kabul erwartet. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte, es werde einen „vollständigen“ Machtwechsel geben, der von einem Waffenstillstand oder einer Generalamnestie begleitet werde.
Mit der Billigung Pakistans, einem der wichtigsten Unterstützer der Mudschaheddin, hatten sich in der Nacht zum Sonntag zehn als gemäßigt geltende Rebellengruppen unter Führung des Chefs der Dschamiat-i- Islami (Islamische Gesellschaft), Ahmed Schah Massud, auf eine friedliche Übernahme der Gewalt in Kabul geeinigt. Für den Rat sollten von jeder Gruppe zwei Vertreter — ein politischer und militärischer Führer — benannt werden. Die Dschamiat meldete bereits ihren Anspruch auf die Führung in diesem Gremium an.
Ein Treffen Massuds mit dem afghanischen Außenminister und Mitglied des in Kabul regierenden Militärrats, Abdul Wakil, hatte am Wochende offenbar keine abschließende Einigung über den Machtwechsel in Kabul gebracht. Wakil gab jedoch zu erkennen, daß er nichts gegen einen derartigen Mudschaheddin-Rat einzuwenden habe.
Massud erklärte anschließend, er werde mit seinen Truppen solange nicht in Kabul einmarschieren, bis die Mudschaheddin eine Regierung gebildet haben. Massud, der eine Koalition aus unzufriedenen Regierungstruppen und Mudschaheddin- Milizen anführt, kontrolliert weite Teile Nord-Afghanistans und hat mit seinen Verbänden bereits den internationalen Flughafen unter seine Kontrolle.
Unklar blieb am Montag das Verhalten von Massuds Gegenspieler Gulbuddin Hekmatyar, Chef der radikalen Gruppe Hisb-e-Islami (Partei des Islam). Hekmatyar setzte der „Militärjunta“ eine Frist zum Rücktritt vor dem 27. April. In Kabul verteilten Flugblättern hieß es in der Nacht zum Montag weiter, die Einwohner müßten andernfalls „jederzeit“ mit einem Angriff rechnen. Hekmatyar hatte zuvor erklärt, er wolle mit seinen südlich von Kabul stehenden Kämpfern eine von „ausländischen Mächten“ unterstützte Regierung verhindern. Zum Mudschaheddin-Rat meinte er, dabei gehe es nur „um die Verteilung von Ministerien“.
Der Sprecher des pakistanischen Außenministeriums erklärte, man erwarte, daß Hekmatyars Gruppe im Regierungs-Rat vertreten sei. Von Beobachtern wird die Auseinandersetzung zwischen Massud und Hekmatyar auch auf den ethnischen Konflikt in Afghanistan zwischen den Paschtunen als größter Volksgruppe und den übrigen Völkern zurückgeführt. Der Tadschike Massud, der während des 14jährigen Bürgerkriegs an Einfluß gewann, gilt als populär im Land.
In die Beilegung des Konflikts ist nach Angaben Pakistans auch der UNO-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Benon Sevan, eingeschaltet. Er bemühe sich in Kabul um die Ausreise des gestürzten Präsidenten Nadschibullah, der sich in einem UNO-Gebäude in der Hauptstadt versteckt halte, sagte der Sprecher des pakistanischen Außenministeriums. Unterdessen erklärte auch die Regierung der VR China, sie unterstütze die Bemühungen der Vereinten Nationen um eine friedliche Lösung des Konfliktes.
Nach einem Korrespondentenbericht der amerikanischen Zeitung 'Los Angeles Times‘ kehrte am Sonntag das Leben in Kabul nach vereinzelten Schießereien vom Vortag zur Normalität zurück. Praktisch alle größeren Städte des Landes stünden inzwischen unter gemeinsamer Kontrolle von Armee und Rebellen.
Das staatliche Fernsehen berichtete am Sonntag, daß in der strategisch wichtigen Stadt Gardez im Südosten des Landes ein General gemeinsam mit einem der wichtigsten Rebellenführer Arm in Arm durch die Straßen schlenderte.
Auch Kandahar, die zweitgrößte Stadt Afghanistans, wird bereits seit Sonntag abend von einem gemeinsamen Rat aus Vertretern der moslemischen Mudschaheddin aund der bisherigen Kabul-treuen Administration verwaltet. In Kandahar haben den Berichten zufolge sieben Mudschaheddin-Gruppierungen je drei Vertreter in den Rat gesandt. Hingegen sind aber nur drei Repräsentanten der alten Kabuler Administration vertreten.
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