Rebecca ClareSanger Vogelfluglinie: Vorbereitung auf die heißen Quellen
Als ich meine Kolumne diesen Sommer zum wiederholten Mal von Umbrien aus schrieb, ist es aufgeflogen: wo führt sie denn hin, die Vogelfluglinie der Autorin, die über den Norden schreiben soll? –In den Süden, natürlich.
Und dann wieder in den Norden, nach Møn. Die Mauersegler werden sich sehr wundern, wenn auch sie in das ehemalige Versammlungshaus bei uns gegenüber zurückkehren; sind ihre Brutstätten unter dem Dach doch billigem Isolierschaum gewichen. Er tropft mit dem Regen auf die Trampoline, die Gartenstühle, das Lederarrangement und die Blumentöpfe: dem Teil der Ausstellungsware, den der neue Hauseigentümer, ein Trödelhändler, nicht reinzuschleppen vermag.
Falls der Mauersegler denn zurückkommt.
Im Winter ist die Autarkie der Dänen besonders schwer zu ertragen. An den Tagen wo ich das Auto habe, tröste ich meine syrische Freundin Fatma fünf Dörfer weiter. In ihrem herzlosen Dorf, im schimmligen Haus, mit dreckigem Garten, Nachbarn hinter Gardinen, klopfe ich der weinenden, einsamen Fatma auf den Rücken. Sie ist aufgedunsen von billigen Keksen (sie kriegt Prozente in der Keksfabrik, wo sie arbeitet) und Tränensäcken. Und ich weiß, worum sie trauert. Um Freunde, Spielplätze, gemeinsames Essen und Leben. Ihre Kinder stehen nur vom Bildschirm auf, um im Garten ’ne Runde die Haustiere zu quälen. Auch deshalb hüte ich mich an meinen autofreien Tagen davor, mit den Kindern die äußerst strapaziöse Busfahrt auf mich zu nehmen. Die lernen nur schlechte Gewohnheiten im Umgang mit Kaninchen.
Mein Mann arbeitet jetzt nach der Elternzeit wieder sehr viel. Wir haben die Ziegen verschenkt und manchmal winkt der Bauer, Uffe, von dem wir das Land noch immer gepachtet haben, von seinem Traktor runter, während er auf dem Klintevej vorüberdonnert. Überhaupt kenne ich viele der Gesichter in den Autos, die an mir vorbeifahren. Irgendeinen Eindruck muss man in fünf Jahren ja gemacht haben. Eine kleine Hälfte des Dorfes und der Kindergartenelternschaft spricht nicht mehr mit mir, seitdem ich mit meiner damals zweijährigen Tochter im Garten eines leerstehenden Hauses Äpfel klauen gegangen bin. Die Großmutter eines mondgesichtigen, sprachverzögerten, tüllrocktragenden Mädchens, dessen Vater uns wegen der Ziegen anzeigen wollte –„das ist hier Stadtgebiet und die Tiere eine Lärmbelästigung“ – war darüber entsetzt, was ich meinem Kind beibrächte. Äppel klaun. Dass ich aus Hamburch bin, hab ich ihr natürlich genau so wenig geantwortet, wie, dass ihre Enkelin gut daran täte, überhaupt mal mit einem Apfel bekannt gemacht zu werden: wo sie doch im Stadtgebiet wohne.
Es ist ein kleines Dorf. Und meine Geduld: noch kleiner.
Der Klintevej ist lang. Der Weg nach Italien: länger. Auf dem Weg zum lokalen Schwimmbad sagt meine Tochter, sie würde gerne an die heißen Quellen in St. Casciano fahren. Ich muss mich vorsehen, nicht mein ganzes Leben hier als Vorbereitung auf die heißen Quellen zu verstehen, die Monate zu verbringen mit Blick auf die vier Monate im Jahr, die wir nun in der Kommune in Umbrien verbringen werden, bei den alten Hippies, die schon beim Frühstück ohne Klopfen mal vorbeischauen, und wenn die Kinder allzu laut schreien, sie auf ’ne Runde Traktorfahren mitschleppen.
Vielleicht wird Italien scheiße. Die Lämmer werden auch dort geschlachtet, unsere Kinder werden auch dort die Leute nerven, wir werden in die Intrigen der Althippies eingewickelt werden, ich werde überempfindlich sein, und es Empfindsamkeit nennen. Und vielleicht auch dort nicht die Ruhe finden, die ich mir wünsche. Oder aber doch.
Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg, der dänischen Insel Møn und einer Landkommune in Umbrien
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