HAMBURGER SZENE VON LAURA LEPPLE : Realität der Damentoilette
Die Welt so zu sehen, wie sie ist – das fällt nicht nur Guido Westerwelle schwer, auch ich habe Stunden und Tage, an denen sich meine persönliche Realität von der allgemeinen signifikant zu unterscheiden scheint.
Ich sehe in dunklen Ecken Spinnen, wo gar keine sind, höre in Liedern Textpassagen, die es gar nicht gibt und bin mir sicher, dass die Planung des gemeinsamen Urlaubs eine weinlaunige Gedankenspinnerei war, während entfernte Bekannte bereits Flugtickets buchen.
Es ist ein verregneter Samstagnachmittag, ich befinde mich auf der Damentoilette eines kleinen Cafés in der Schanze, wo ich mich mit Freundinnen auf einen Schlecht-Wetter-Tee verabredet habe. „Na, wie gehts dir?“, ruft eine Stimme aus der Nachbarkabine. „Ach, eigentlich ganz gut“, antworte ich und versuche, die Stimme einer meiner Freudinnen zuzuordnen. „Was machst du heute noch so?“, fragt die Stimme weiter und ich antworte immer noch rätselnd: „Hm, erstmal mit euch Tee trinken und dann muss ich mal schauen, hab noch nichts geplant.“ Die Tür der Nachbarkabine öffnet sich, auch ich schließe meine Tür auf, halte aber inne, als die Nebenfrau sagt: „Bleib mal bitte kurz in der Leitung, neben mir ist eine Verrückte auf der Toilette, die quatscht die ganze Zeit dazwischen!“
Ich zähle im Kopf bis zehn, dann öffne ich meine Tür und gehe zum Waschbecken.