: Real existierender Smog
■ CSSR–Behörden warnen erstmals vor Luftverschmutzung
Ein Smogalarm ist die amtlich ausgerufene Bestätigung für das Versagen einer Luftreinhaltepolitik. Diese Definition gilt für die Bundesrepublik, und sie gilt genauso für die sozialistischen Länder. In Prag haben die tschechoslowakischen Behörden am Mittwoch Smogwarnung gegeben. Zum ersten Mal werden damit in einem sozialistischen Land die Probleme der real existierenden Luftverschmutzung öffentlich eingestanden. Ein Novum angesichts der jahrelangen Ignoranz und einer gegen Null tendierenden Aufklärungs– und Informationspolitik. Noch Anfang der Woche, als Berlin unter einer dicken Smogwolke lag, nebelte die „Aktuelle Kamera“ des DDR–Fernsehens die Zuschauer mit fröhlichen Bildern von Ski und Rodel im weißen Ostberlin ein. Der Smog fand nicht statt, die Trabis durften weiterstinken. Die Alarmmeldung aus Prag ist ein sicheres Indiz dafür, daß die Luftverpestung in der CSSR, allerdings auch in Polen und der DDR inzwischen Ausmaße angenommen hat, die nicht länger verschwiegen werden können. Die Betroffenen, vor allem im Erzgebirge, wo die Lebenserwartung durch die Luftverschmutzung um vier Jahre gesunken ist, wissen sehr genau, woher der Wind weht. Sie kennen ihre Dreckschleudern, und ihre Bitterkeit über die Zumutungen der Braunkohle–Verbrennung macht sich längst in pauschaler Ablehnung des eigenen Gesellschaftssystems Luft. Die Situation ist trostlos, denn ein Ausweg aus dem Energie–Dilemma der osteuropäischen Staaten ist in den nächsten Jahren nicht in Sicht. Die in ihrer Qualität immer schlechter werdende Braunkohle bleibt auf absehbare Zeit das wichtigste Standbein der Energieversorgung und wird - wenn überhaupt - durch Atomkraftwerke ersetzt. Der großtechnische Einsatz von Entschwefelungsanlagen und Wirbelschichtfeuerung kann z.B. in der CSSR vor 1990 nicht erwartet werden. Den BRD–Behörden wird damit ihre beliebte Ausrede für das eigene Versagen der Luftreinhaltepolitik noch einige Jahre erhalten bleiben: Der Dreck kommt aus dem Osten. Daß dieser Fingerzeig moralisch fragwürdig ist, beweist die Schadstoff–Bilanz der Bundesrepublik. Danach „exportiert“ die BRD deutlich mehr Luftgift, als sie selbst (z.B. aus Osteuropa) „importiert“. Und noch eines hat Deutschland–West mit seinen östlichen Nachbarn gemeinsam: die Ignoranz der Autofahrer. Der jetzt in Prag trotz AUTOR_________: Manfred Kriener
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