Reaktorunglück in Japan: Die Katastrophe als Normalzustand
Weißer Rauch, ein Stromkabel: Erfolgsmeldungen. Die Maßstäbe in Fukushima ändern sich. Strahlen, kochende Abklingbecken und das verseuchte Meer werden verdrängt.
BERLIN taz | Was eine gute Nachricht ist, hängt von der Perspektive ab. Für den Stromkonzern Tepco in Fukushima schon das: "Der Rauch an Reaktorblock 3 hat seine Farbe von Grau nach Weiß verändert." Denn das bedeutet: Es brennt nicht mehr irgendwas, sondern wahrscheinlich verdampft Wasser.
Nach zehn Tagen der akuten Atomkatastrophe ändern sich die Maßstäbe. Die totale Katastrophe ist zum Normalzustand geworden. Immer noch glühen die Kerne von drei Reaktoren unkontrolliert vor sich hin, geben Radioaktivität in die Umgebung ab und drohen weiterhin, ihre Behälter durchzuschmelzen. Seit Tagen gibt es keine belastbaren Daten über die Strahlung auf dem Gelände, die radioaktive Belastung der Einsatzkräfte oder den Zustand der Druckbehälter, in denen die Kernschmelzen ablaufen.
Auch weiß kein unabhängiger Experte, ob und wie viel Wasser in den Abklingbecken voller hochradioaktiver Brennelemente ist und wie stark diese Pools Strahlung freisetzen. Das wissen offenbar nicht einmal die Tepco-Experten. Aber sie wissen immerhin so viel, dass Industrieminister Banri Kaieda die Lage als "extrem schwierig" einschätzt.
Da wird es zur Erfolgsmeldung, dass jetzt an allen Reaktoren außer Block 3 wieder Stromkabel liegen. Damit sollen die Filtersysteme der Leitstände wieder zum Laufen gebracht und Messgeräte reaktiviert werden. Dabei ist von den Pumpen, die den Reaktorkern per Strom kühlen sollen, schon lange nicht mehr die Rede. Und alle vier Leitstände der Blöcke sind nach Informationen des staatlichen französischen "Instituts für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit" (IRSN) so "sehr verstrahlt, dass die Aufenthaltsdauer der Helfer begrenzt ist".
Radioaktive Belastung des Meeres
Als Erfolg gilt auch der Einsatz der Feuerwehr, die seit einigen Tagen mit Meerwasser aus Löschkanonen die Reaktoren beregnet. Dabei hat Salzwasser in einem AKW eigentlich nichts verloren. Es soll das Schlimmste verhindern - bislang durchaus erfolgreich -, zieht aber die nächsten gravierenden Probleme schon nach sich. Es läuft aus der Trümmerlandschaft an den Blöcken 1 bis 4 wieder zurück ins angrenzende Meer und kontaminiert das Wasser.
Tepco hat jetzt in der Bucht am Ende des Abwasserkanals Proben entnommen und die radioaktive Belastung des Meeres bestätigt: Hohe Konzentrationen von Jod, Cäsium und Kobalt sind ins Wasser gelangt. "Keine unmittelbare Gesundheitsgefahr", lautet der Kommentar der japanischen Atomsicherheitsbehörde dazu.
Das Meerwasser bringt aber noch ganz andere Probleme: Man sei "besorgt", schreibt die IRSN, weil das Salzwasser, das direkt ins Herz des Reaktors im Druckbehälter gepumpt wird, dort zu Rostschäden führen könnte. Außerdem sehen die französischen Experten "das Risiko, dass das Salz im Wasser die Ventile blockiert" und im Zusammenspiel mit starker Strahlung die Messinstrumente in den Anlagen angreifen könnte.
Alle Experten sind sich einig, dass die Hilfskräfte keinem durchdachten Notfallplan folgen, sondern alles versuchen, was ihnen einfällt. Das zeigt etwa das extrem aufwändige Beregnen der Brennelemente in ihren Pools durch die Wasserkanonen der Feuerwehr. Nach 20-stündigem Einsatz an Block 3 ist weiter unklar, wie viel Wasser überhaupt im Becken bleibt, ob es verdampft oder durch ein Leck aus den Becken abläuft, die in Höhe des vierten Stocks an den Reaktoren liegen.
Immerhin hat die Flickschusterei der Helfer bisher das Schlimmste verhindert. Das gibt auch Sebastian Pflugbeil zu, der Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, der für das vergangene Wochenende die Entscheidung über Rettung oder Chaos am Reaktor erwartet hatte. "Das waren Berechnungen von Experten, aber sie waren eben vom Schreibtisch aus gemacht", sagt Pflugbeil. Vor Ort hätten die Retter bislang "immer wieder etwas Neues hingefummelt und Zeit gewonnen".
Jeder Tag ohne Katastrophe ist ein gewonnener Tag, auch da sind sich alle Experten einig. Aber wann man über den Berg sei, kann keiner sagen. Sind die Reaktorkerne nach zwei Wochen so weit abgekühlt, dass sie ihren Druckbehälter nicht mehr durchschmelzen können? "Diese Angabe kann ich nicht nachvollziehen", sagt Sven Dokter von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). Niemand habe genaue Informationen über den Zustand der Reaktoren. "Es kann gut sein, dass die Feuerwehr da noch wochenlang Wasser spritzen muss."
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