Reaktionen deutscher Politiker auf Obama-Sieg: "Warum nicht Ayse im Kanzleramt?"
Die Kanzlerin lädt den künftigen US-Präsidenten Obama ein, der Außenminister erwartet einen Kurswechsel der USA. Die Grünen sehen die Wahl als Signal für Migranten in Deutschland.
BERLIN rtr/dpa/afp/ap Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den künftigen US-Präsidenten Barack Obama zu einem baldigen Deutschland-Besuch eingeladen. Merkel gratulierte dem US-Senator in einem am Mittwoch vom Bundespresseamt veröffentlichten Glückwunschschreiben zu seinem "historischen Sieg".
"Ich bin überzeugt, dass wir in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und Europa den neuartigen Gefahren und Risiken entschlossen begegnen und die vielfältigen Chancen, die sich in unserer globalen Welt eröffnen, gut nutzen werden", schrieb die Kanzlerin. Zugleich versicherte sie Obama, dass sich die Bundesregierung stets der Bedeutung und des Wertes der transatlantischen Partnerschaft für die gemeinsame Zukunft bewusst sei.
Bundespräsident Horst Köhler schrieb in einem Glückwunschtelegramm an Obama, dieser stehe vor großen Herausforderungen für die Vereinigten Staaten und für die gesamte Welt. Dabei könne er auf Deutschland als einen verlässlichen Partner und langjährigen Freund zählen.
Die gemeinsamen Werte und Grundüberzeugungen beider Länder seien das Fundament für eine enge Zusammenarbeit, schrieb Köhler. Deutschland stehe bereit, gemeinsam mit den USA durch eine kooperative Weltpolitik für Frieden, Freiheit und Wohlstand, für den Kampf gegen Armut und den Schutz der Umwelt einzutreten.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gratulierte Barack Obama zu seinem "großartigen Wahlsieg". Er freue sich auf die enge Zusammenarbeit mit dem künftigen US-Präsidenten, sagte Steinmeier am Mittwoch in Berlin. Er habe Obama bei seinen bisherigen Gesprächen als Politiker erlebt, der zusammenführen und am Ende besonnen und souverän handeln könne. Obama habe es im Wahlkampf auch geschafft, wieder Begeisterung für Politik zu wecken. Dies zeige auch die hohe Wahlbeteiligung.
Mit Obamas Wahl hätten die Vereinigen Staaten in der Innen- und Außenpolitik den Wechsel gewählt. Steinmeier erwartet, dass das transatlantische Verhältnis nun wieder enger wird. Er verwies auf die Ankündigungen von Obama beim Klimaschutz, der Abrüstung und die Zusammenarbeit mit den internationalen Organisation.
Die vom künftigen US-Präsidenten angekündigte Rückkehr zu internationaler Zusammenarbeit bedeute für Europa einen Sicherheitsgewinn, sagte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich. Allerdings werde für Deutschland mit der neuen US-Führung nicht unbedingt alles leichter. "Präsident Obama wird von uns ein stärkeres Engagement im Nahen Osten und Afghanistan fordern", zeigte sich der SPD-Politiker überzeugt. Die Bundesregierung müsse dafür frühzeitig ihre Bedingungen formulieren und auch die eigenen Möglichkeiten klar machen. Nach Ansicht Mützenichs wird mit dem Wechsel in Washington auch eine neue Entspannungspolitik wahrscheinlicher. Die USA und Russland müssten so schnell wie möglich Gespräche über den Abbau ihrer Atomwaffen aufnehmen.
Der designierte Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir erhofft sich von der Wahl des Demokraten Barack Obama zum US-Präsidenten dagegen auch ein Signal für Migranten in Deutschland. "Damit kann ich Jugendlichen sagen: Ihr könnt das auch schaffen", sagte der Politiker. Eines Tages sei dann sogar eine Ministerin oder gar Bundeskanzlerin mit Migrationshintergrund möglich, zeigte sich Özdemir überzeugt: "Warum nicht eine Anastasia, Ayse oder Alisa im Kanzleramt? Auch das gehört zur Normalität in einem selbstbewussten Einwanderungsland."
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) sagte, es sei jetzt ganz wichtig, dass Deutschland die Chance dieser neuen Präsidentschaft nutze, um "das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika auf eine neue, eine stabile, eine freundschaftliche Grundlage zu stellen". Obama habe eine große Aufgabe und ein schweres Erbe. Er habe viele Themen, die er gleichzeitig anpacken müsse, und für einen langen Anlauf bleibe keine Zeit. "Barack Obama muss jetzt anpacken, aber darin besteht eine Chance und wir sollten ihm helfen", sagte Rüttgers.
CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla betonte, seine Partei freue sich auf eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten. "Die Union ist überzeugt, dass Barack Obama die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit freundschaftlich und intensiv fortsetzen wird."
Unions-Außenexperte Eckart von Klaeden rechnet nicht mit grundlegenden Veränderungen der US-Außenpolitik unter dem künftigen Präsidenten Barack Obama. "Ich vermute, dass der Wechsel nicht so krass ausfallen wird, wie viele jetzt annehmen", sagte er am Mittwoch. Die Rückkehr zu einem multilateralen Ansatz habe bereits in der zweiten Amtszeit von US-Präsident George W. Bush stattgefunden. Er setze aber darauf, dass die derzeit in den USA herrschende Euphorie und Hoffnung in die internationale Politik übertragen werde, sagte von Klaeden. "Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Vereinigten Staaten in der Welt nicht nur einflussreich, sondern auch angesehen sind." Die nächsten Wochen und Monate sollten Deutschland und Europa nutzen, um der neuen US-Regierung ihre Positionen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, Klimapolitik sowie zu Afghanistan, Iran, Irak und Russland nahe zu bringen, um so ein koordiniertes Vorgehen möglich zu machen.
Befürchtungen, Obama könnte von Deutschland ein stärkeres Engagement in Afghanistan einfordern, wies von Klaeden zurück. "Die Sorge, dass ein neuer amerikanischer Präsident Obama in einer seiner ersten Amtshandlungen mehr deutsche Soldaten fordern wird, halte ich für übertrieben." Es gebe ein gemeinsames Interesse an einem Erfolg in Afghanistan. "Aber über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan entscheidet nicht der amerikanische Präsident, sondern darüber entscheiden Bundesregierung und Bundestag."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Der Pazifismus der Linkspartei
Mehr Rationalität wagen
Amokfahrt in Mannheim
Mit dem Auto in der Waffenverbotszone
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Von der Leyen legt Milliarden-Plan zur Aufrüstung Europas vor
US-Waffenhilfe für die Ukraine
Wir sind dann mal raus
Unionsvorstoß für Sondervermögen
Ohne eine Reform der Schuldenbremse geht es nicht
Amokfahrt in Mannheim
Zwei Tote, zehn Verletzte