: Reaktionen aus Ost und West
„In den letzten Tagen ist die Anzahl der bewaffneten Patrouillen in der Hauptstadt beträchtlich gestiegen. Zu fünft oder sechst trifft man sie auf den Hauptstraßen der Stadt, auf den Perrons des Nordbahnhofes und vor den Regierungsgebäuden. Schutzbarrieren mit der Leuchtaufschrift „Stop!“ auf den Zufahrtsstraßen nach Bukarest vervollkommnen das Bild. Über die wirkliche Lage in Temeswar ist nichts bekannt. In bezug auf die Ereignisse merkte ein Vertreter des Außenministeriums der UdSSR an, daß die Informationen bisher als vorläufige gewertet werden müßten. Falls sich natürlich jene Passagen, in denen von Todesopfern die Rede ist, bestätigten, könne man nicht davon absehen, allertiefstes Bedauern auszudrücken“ - so berichtete am Donnerstag der Rumänienkorrespondent der sowjetischen Zeitung 'Iswestija‘.
In der DDR ist das Vorgehen der rumänischen Staatsführung gegen das eigene Volk scharf verurteilt worden. Der Parteivorstand der SED-PDS regte an, Ceausescu den Karl-Marx -Orden wieder abzuerkennen. Diesen höchsten Orden der DDR hatte er vom gestürzten Erich Honecker zum 70. Geburtstag erhalten. Das SED-Blatt 'Berliner Zeitung‘ nannte es „schwierig“, sich zu den Ereignissen zu äußern, „wenn man selbst in einem Land lebt, das einem himmlischen Frieden nur um Haaresbreite entkommen ist und das sein stalinistisches Korsett eben erst aufgebrochen hat. Auch hierzulande wollte ein greiser Mann die Zeichen der Zeit nicht erkennen und verließ sich gänzlich auf seinen Sicherheitsapparat.“
Die Ungarische Sozialistische Partei (USP) hat beschlossen, die Beziehungen zur rumänischen KP zu unterbrechen. Ohne „tiefgreifenden Wandel“ in Rumänien sehe man keine Chance, die Beziehungen zu normalisieren.
Die Tage des Ceausescu-Regimes sind nach Ansicht des französischen Staatspräsidenten Mitterrand gezählt. In Rumänien herrsche nicht einmal ein ideologisches Regime, sondern allein Ceausescu und seine Familie, unterstrich Mitterrand am Donnerstag bei seiner Ankunft in Leipzig. Nur das rumänische Volk selbst könne jedoch „mit der moralischen, intellektuellen und praktischen Unterstützung aller anderen europäischen Völker“ den Sturz des Diktators herbeiführen.
Die EG-Kommission hat am Mittwoch abend die letzten Beziehungen zu Rumänien abgebrochen. Wie der EG-Kommissar für auswärtige Angelegenheiten, Frans Andriessen, mitteilte, werde das 1980 in Kraft getretene Handelsabkommen mit Rumänien, das für den Austausch von Industrieprodukten gilt, eingefroren. Eine humanitäre Hilfe will die EG außerdem den rund 25.000 rumänischen Flüchtlingen in Ungarn zukommen lassen. „Die Kommission verurteilt die Niederschlagung in Rumänien und will den Opfern dieser Niederschlagung helfen“, sagte Andriessen. Außerdem wolle sie den friedlichen Übergang zu einem pluralistischen politischen und wirtschaftlichen System unterstützen. Als Folge dieser Entscheidungen wird das für Januar oder Februar vorgesehene Treffen der gemeinsamen Kommission von EG und Rumänien nicht stattfinden, so daß Bukarest auch nicht mit neuen Handelsvorteilen rechnen kann. Abgesagt wurden auch die geplanten Besuche von ranghohen EG-Vertretern in Rumänien.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer hat sich für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen der BRD zu Rumänien ausgesprochen. Scheer sprach am Donnerstag in Bonn von einer „Mitverantwortung der westeuropäischen Regierungen an den Massakern“. Jahrelang hätten die Westeuropäer untätig der Verwandlung Rumäniens in eine „menschenverachtende Despotie“ zugeschaut und der rumänischen Regierung sogar bis zuletzt noch Handelsvorzugsbedingungen eingeräumt, als schon klar abzusehen gewesen sei, daß die Handelseinnahmen Rumäniens „allein dazu dienten“, die „Prunkbauten eines verbrecherischen Diktators und die Zerstörung der Kultur eines Landes zu finanzieren“. Nach Auffassung Scheers ist jetzt der Abbruch der diplomatischen Beziehungen geboten. Es gebe „keine Alternative zu einer internationalen Ächtung des Ceausescu-Regimes“.
BK/taz/afp
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen