■ Reaktionen auf den 11. September 1973/2001 und die Folgen: Wie ein weltpolitischer Autist
betr.: 11. September 2001/Irak
Vieles hat sich verändert. Die Twin Towers – einst Markenzeichen von New York – stehen nicht mehr. 3.116 Menschen verloren innerhalb weniger Stunden ihr Leben. Die Angehörigen und viele Menschen weltweit trauern um die Toten.
Aber die USA nur als Opfer darzustellen, den 11. September als die größte Tragödie der Menschheit zu bezeichnen, zeigt die Einseitigkeit der Weltsicht vieler Amerikaner und Europäer. Zugleich verharmlost es den Tod von 250.000 Japanern, die Opfer einer größenwahnsinnigen Politik der Amerikaner geworden sind. Im August 1945 sind in wenigen Tagen 250.000 Zivilisten durch amerikanische Atombomben – also Massenvernichtungswaffen – getötet worden. Welche Bedrohung ging von einem japanischen Zivilisten auf einen US-amerikanischen Zivilisten aus? Diese Frage stellen sich heute sicher auch viele Afghanen und Iraker! […]
Die Begriffe Opfer und Selbstverteidigung wurden in letzter Zeit häufig missbraucht. […] Wer hat das Recht zu urteilen, welche Regierungen akzeptabel sind und welche Länder „Massenvernichtungswaffen“ herstellen dürfen? Bisher hat nur ein Land die schrecklichste aller Waffen – die Atombombe – eingesetzt, und das gleich zweimal! Trotzdem sind George W. Bush und seine Berater der Meinung, dass sie zu den Auserwählten gehören, die diese Waffe herstellen und besitzen dürfen. Dabei hat auch der Abwurf der Atombomben 1945 die Welt verändert!
ANITA WIMMER, Bonn
betr.: 11. September 1973
Für eine Generation, die wahrscheinlich älter ist als die meisten Ihrer Redakteure, ist das Datum „11. September“ besetzt mit dem Putsch 1973 gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Allende in Chile, mit seiner Ermordung und in den darauf folgenden Repressionsjahren mit den planmäßigen Morden an mindestens 3.000 Chilenen (und einigen Nichtchilenen, darunter auch Deutsche).
Es ist inzwischen geschichtlich belegt, dass der Putsch und die Morde auf das Konto der USA gehen, ebenso wie die gezielten Morde, zum Teil unter viehischen Umständen, an mindestens 30.000 Menschen in den angrenzenden Ländern im Zuge des berüchtigten Plan Condor, für den der Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger direkt verantwortlich ist. Die Zahl der Terroropfer in Chile und den umliegenden Ländern liegt um ein Zehnfaches über der der Opfer des 11. September 01 in den USA. Warum zum heutigen Jahrestag keinerlei Erwähnung des 11. Sept. 73 in den Medien? Von ARD und noch weniger ZDF war es kaum anders zu erwarten. Ich kann mir gut die Redaktionssitzungen vorstellen, in denen der 11. Sept. in Chile zum Nichtthema erklärt wurde, wenn denn überhaupt ein Redakteur es gewagt hat, das Thema zu bringen und nicht in vorauseilendem Gehorsam freiwillige Vorzensur übte. Das entspricht der unsäglichen byzantinisch ergebenen, ermüdend gleich lautenden und absolut desinformativen Berichterstattung zum 11. Sept. 01, damals wie heute. Aber warum zum Teufel nichts in der taz?
[…] Natürlich ist der 11. Sept. 01 nicht ohne Vorgeschichte, ohne Ursache, ganz aus dem blauen Himmel gekommen. Er hat viele Ursachen. Auch zwischen den beiden Septemberdaten gibt es eine Verbindung, worauf die Inderin Arundhati Roy oder Ken Loach in seinem Filmbeitrag zum Thema „11. Sept.“ in Venedig hingewiesen haben. Liegt auch die taz im Trend eines Journalismus, der auf eine historische Analyse grundsätzlich verzichtet? […] Der heutige Beitrag (11. 9.) war nicht schlecht, nur fehlte eben etwas Wesentliches. DIERK VON DRIGALSKI, Marburg/Lahn
betr.: „Bin Laden, der falsche Robin Hood“, taz vom 11. 9. 02
Die US-Amerikaner verstehen die Europäer nicht, wie sollten sie jemals die Sorgen, Nöte und Hilflosigkeit der Araber verstehen?
Die US-Amerikaner und die Westeuropäer müssen lernen, dass man als „Demokrat“ weder illegale Regime unterstützen darf noch dass man der arabischen Bevölkerung ihre demokratischen Rechte vorenthalten darf. Vielleicht können gerade die Westeuropäer den US-Amerikanern eine Lektion in Demokratie und humanitärer Mitmenschlichkeit erteilen. Insofern ist Bundeskanzler Gerhard Schröders Nein zum geplanten amerikanischen Irakkrieg deutlich und ein positiver Anfang.
KLAUS JÜRGEN LEWIN, Bremen
betr.: „Bush lädt UN zum Krieg ein“, taz vom 13. 9. 02
Die Rede George W. Bushs vor den Vereinten Nationen ist ein Paradebeispiel für das US-amerikanische Selbstverständnis gegenüber anderen Völkern. Man lebt in seiner eigenen Welt, dem viel zitierten gelobten Land. Abseits der eigenen Grenzen haust der Rest der Welt: ökonomisch rückständig, politisch unselbstständig und zum Teil untereinander kriegerisch verfeindet. Länder, auf die man herabschaut. Länder, die man wie selbstverständlich zu Solidarität aufruft, wenn man Probleme hat, denen man aber kaum Gehör schenkt, wenn diese ein Anliegen vortragen, wie etwa beim Kioto-Protokoll.
So auch im Fall Irak: Man stellt Forderungen auf, ohne auch nur im Entferntesten auf die Argumente „seiner Partner“ einzugehen. Wie ein weltpolitischer Autist wandeln die USA durch die internationalen Institutionen, und man möchte ihnen fast glauben, wenn sie beklagen, unsere Fragen nicht zu verstehen.
Zugegeben, der Irak stellt für die USA eine Bedrohung dar – eine ökonomische! Er ist das einzige Land in einer weltwirtschaftlich bedeutsamen Region, das nicht mit den Amerikanern verbündet ist. Hier möchte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: ein Exempel für seine ökonomischen Interessen statuieren und mit einem alten Prestigefeind ein für alle Mal fertig werden. Typische Muskelspiele einer Weltmacht, die über ihren Zenit hinaus ist.
RASMUS PH. HELT, Hamburg
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