■ Read.Me: Medien-Anthropologie
Merkwürdigerweise scheinen Ethnologen, die ihre eigene Zunft zu verspotten verstehen, die besten Aussichten auf Erfolg außerhalb der Museen zu haben. Das gilt für den britischen Schriftsteller Nigel Barley und den Filmemacher Robert Gardner ebenso wie für Edmund Carpenter. Sein Buch „Sinnestäuschung. Wie Medien unsere Wahrnehmung verändern“ ist eine bunte Sammlung von Notizen, Zeitungsmeldungen, Tagebucheintragungen und kleinen Aufsätzen aus den 50er, 60er und 70er Jahren, die Carpenter in Neuguinea, Indonesien, Sibirien und in der Ukraine geschrieben hat. Das Buch, so schreibt Carpenter im Vorwort, ist sein Bericht über die Einführung elektronischer Massenmedien in Papua-Neuguinea, die er 1968 im Auftrag der Regierung untersucht hatte. Darauf wäre man beim Lesen aber nicht unbedingt gekommen, denn Carpenter hält sich zum Glück weder geographisch noch chronologisch streng an sein Forschungsthema. Er kombiniert vor allem unterhaltsame Anekdoten, beispielsweise über einen kalifornischen Bankräuber, der in einer „TV-Bank“ die Kassiererin, die für ihn nur auf einem Monitor sichtbar war, mit der Waffe bedrohte und tatsächlich Geld bekam. Oder über einen Afrikaner, der in Hollywood für MGM afrikanische Fantasiesprachen erfand, damit wegen gewisser Filme kein Ärger mit afrikanischen Regierungen entstehen konnte. In bester Feldforschertradition werden kleine Alltagsbeobachtungen aus fast allen Teilen der Welt gesammelt, die einzig vom Erkenntniswillen geordnet sind, die Veränderungen der menschlichen Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung im Medienzeitalter zu fassen zu bekommen.
Die Einführung der elekronischen Massenmedien verändert laut Carpenter die biologische Orchestrierung der Sinne und etabliert eine Tyrannei des Auges. Obwohl dieser Prozeß seit der Aufklärung sehr bewußt kultiviert wird, ist er im Detail doch geheimnisvoll geblieben. Wieso können zum Beispiel schriftkundige Menschen beim Fotografieren leichter ein Auge zukneifen als Menschen ohne Schriftkultur? Carpenter beschreibt ausführlich die oft ganz abrupten Veränderungen in Dorfgemeinschaften von Papua-Neuguinea, wo plötzlich eine Kamera, ein Radio oder Tonband auftaucht. Er tut es aus der besorgten, aber auch neugierigen Distanz eines Ethnologen, der weiß, daß diese Geräte in absehbarer Zeit alle möglichen Sitten und Gebräuche radikal und selten zum Guten verändern. Das hindert ihn nicht an einer gewissen Faszination, so wenn es um die Motivwahl der Amateurfilmer von Port Moresby geht, die mit Vorliebe parkende Autos aufnahmen. Daran, daß der Folklorehasser Carpenter schon vor 30 Jahren die Wirkung der Medien unabhängig von den Inhalten und Absichten der Macher beurteilt hat, erkennt man wohl auch seine enge Zusammenarbeit mit McLuhan in den fünfziger Jahren.
Zu behaupten, daß dieses 1971 in den USA erschienene Buch nichts von seiner Aktualität eingebüßt hätte, wäre eine Übertreibung. Aber „Sinnestäuschung“ betreibt auf eine so kurzweilige Art Mediengeschichte, daß dagegen mancher topaktuelle Reader voller Prognosen, die schwammig ins nächste Jahrtausend hinüberspekulieren, verstaubt wirkt. Dorothee Wenner
Edmund Carpenter: „Sinnestäuschung. Wie Medien unsere Wahrnehmung verändern“. München: Trickster. 223 Seiten. 42 DM
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