: Rausschmiß kostet 200.000
■ Nach vier Jahren: Arbeitsgericht verdonnert Hamburger Aluminiumwerke zur Wiedereinstellung von Arbeiter Nevzat Seadini Von Kai von Appen
Schwere Schlappe für die Hamburger Aluminiumwerke (HAW): Das Hamburger Arbeitsgericht hat das Unternehmen dazu verdonnert, den vor vier Jahren gefeuerten 47jährigen Arbeiter Nevzat Seadini wieder einzustellen und ihm zwischen 160.000 Mark und 200.000 Mark Lohn nachzuzahlen. Das Unternehmen signalisierte, sich dem Richterspruch nach mehrjähriger Weigerung zu beugen.
Mit diesem Urteil geht eine unglaubliche Arbeitsrechts-Odyssee zu Ende. Nevzat Seadini – Vater von sieben Kindern – war vor vier Jahren nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit von den HAW gekündigt worden. Auslöser war eine Mitteilung der AOK, daß Nevzat die Arbeit als Hüttenwerker aus gesundheitlichen Gründen wegen einer chronischen Atemwegserkrankung nicht mehr ausüben könne und ihm deshalb ein Alternativ-Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden sollte. Doch die Bosse lehnten ab. In dem Unternehmen mit seinen 680 Beschäftigten sei angeblich kein anderer Arbeitsplatz frei.
Der Betriebsrat schlug hingegen sogleich mehrere Alternativarbeitsplätze vor, an denen Nevzat eta als Treckerfahrer hätte eingesetzt werden können. Oder: Ihm müsse ein Atemschutzgerät zur Verfügung gestellt werden, wenn er weiter im staubbelasteten Bereich arbeiten solle. Die Kosten für den 2000 Mark teuren Sauerstoffhelm wollte die Hauptfürsorgestelle für Schwerbehinderte übernehmen.
Doch an dem Helm haperte es: Die HAW-Bosse lehnten einen derartigen Sonderstatus aus grundsätzlichen Erwägungen ab und kündigten Nevzat Seadini, wogegen der Betriebsrat aus „sozialen Gründen“ Widerspruch einlegte. Mehrere Prozesse vor dem Arbeits- und Landesarbeitsgericht sowie vier Widersprüche der Hauptfürsorgestelle gegen den Rauswurf des schwerbehinderten Familienvaters ignorierte das Unternehmen. Vor zwei Jahren lehnten HAW-Anwälte während eines Verfahrens sogar die Richter wegen „der Besorgnis der Befangenheit“ ab, um so die Notbremse zu ziehen – vergebens!
Tenor des neuen Urteils: Nevzat Seadini sei die vergangenen vier Jahre arbeitsfähig gewesen und hätte beschäftigt werden müssen. Das Unternehmen muß nun den gesamten Lohn nachzahlen, wovon Nevzat das Arbeitslosengeld zurückzahlen muß, und die HAW muß ihm für die weitere Beschäftigung einen Sauerstoffhelm – wie er mittlerweile auch von anderen HAW-Arbeitern getragen wird – zur Verfügung stellen. Das Gericht ordnete die sofortige Vollstreckung an. HAW-Betriebsrat Jürgen Schwanck: „Das Unternehmen wird das Urteil anerkennen. Nevzat Seadini fängt am 17. Juli nach seinem Türkei-Urlaub wieder an.“
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