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Ratlosigkeit beim Ratschlag

Der Versprecher war bezeichnend. Am zweiten Tag des Treffens von Anti-Apartheid-Gruppen vergangenes Wochenende in Köln fragte Rosemarie Bolte von der Evangelischen Frauenarbeit in die Runde: „Wo stehen wir eigentlich als Befreiungsbewegung?“ Es dauerte einige Sekunden zu lange, bis die rund 60 TeilnehmerInnen des „Ratschlages“ Mitglieder der Anti-Apartheid-Bewegung (AAB), des Arbeitskreises Afrika (Akafrik), der Anti-imperialistischen Solidaritätskomitees (ASK), der Informationsstelle südliches Afrika (Issa), von medico international und terre des hommes - mit Lachen reagierten. Ähnlich vieldeutig war die Frage auf dem Einladungszettel zu dieser Diskussion formuliert: „Und jetzt Südafrika?“ Heißt das: jetzt hat der internationale politisch-ökonomische Wandel - Kapitalismus besiegt Sozialismus - auch Südafrika erwischt? Oder aber: Und jetzt, Komma, Südafrika? Quo vadis? Und was wird nun mit uns? Anstatt sich über die jüngsten Entwicklungen zu freuen, ist die Südafrika-Solidaritätsbewegung in einer tiefen Krise. In Südafrika entwickelt sich eine Politik der Annäherung, ohne daß man sie nach ihrer Meinung fragt.

Das brachte sogar frühere Feinde wie AAB und Akafrik an einen Tisch. „Wir werden mit Kompromissen leben müssen“, formulierte Marianne Kolter von AAB Marburg. „Das ist nicht immer leicht, wenn man jahrelang gekämpft hat und dann die Realität sieht.“

Die hatte Winrich Kühne vom Institut für Wissenschaft und Forschung Ebenhausen in seinem Eröffnungsreferat prägnant umrissen. „Ich werde euch hier einige sehr provokante und unangenehme Dinge sagen.“ Erstmals gebe es Chancen in Südafrika für eine friedliche Lösung. Sie stünden fünfzig zu fünfzig. Die beiden Kontrahenten Mandela und de Klerk seien weit auseinander, auf beiden Seiten bestünde die Gefahr der Fraktionierung, ja, der „Libanisierung“, des gewalttätigen Auseinanderdriftens wie im Libanon. Doch Mandela und de Klerk seien auch Partner. Beide wüßten, daß keiner allein gewinnen könnte. Entweder sie schafften einen tragfähigen Kompromiß, oder sie würden „beide zusammen untergehen“. Die nach dem Ende des kalten Kriegs begonnene Neuaufteilung der Welt sei für Südafrika die Chance zur Weiterentwicklung. Kühne hält eine Koalitionsregierung zwischen ANC und de Klerk perspektivisch durchaus für möglich. Dabei müßte es natürlich zu Kompromißlösungen im Sicherheitsbereich, beim Minderheitenschutz und auch in ökonomischen Fragen kommen. Kühne machte keinen Hehl daraus, daß er die Sozialdemokratie favorisiert: „Sozialismus ist out.“ Da stöhnten schon einige. Nationalisierungen seien kaum drin, und auch für Landenteignungen sei „sehr wenig Spielraum“. Wirtschaftswachstum habe einfach Priorität. Dennoch würde er eine solche Entwicklung „nicht für eine Katastrophe halten“.

Einige im Raum aber schon. „Zehn, fünfzehn Jahre habe ich gearbeitet, natürlich auch für meine Befreiung“, formulierte dafür stellvertretend Thomas Siepelmeyer von Akafrik. „Wir wollen mehr als nur die Abschaffung diskriminierender Maßnahmen.“ Aber die Revolution ist nicht gekommen, weder zuhause noch in Südafrika. Also versucht man zumindest gedanklich, die politische Dynamik anzuhalten. Das führt zu solch absurden Fragen wie: Hat denn Mandela überhaupt das Mandat des „ganzen südafrikanischen Volkes?“, wie es Verena Rosenke vom Akafrik ausdrückte. Und weil der ANC die Interessen des Volkes an die Weißen ausverkaufe, ertönte laut der Ruf nach „unseren Partnern“. „Unsere Partner in Südafrika, das schüttelt mich. Die Frage ist immer nur, wer hält es mit wem?“, so Henning Melber vom Issa-Vorstand. „Halten wir's mit Organisationen oder politischen Prozessen?“ Die Zeiten der Ein-Punkt-Bewegungen seien doch vorbei. Nachdem die Annäherung der Supermächte und der Druck des Kapitals auch in Südafrika den Stein ins Rollen gebracht hätten, müsse die südafrikanische Gesellschaft dennoch selbst entscheiden, welchen Weg sie geht. „Afrika rettet sich selbst, oder niemand rettet Afrika“, so Winrich Kühne.

Damit hatten viele DiskutantInnen massive Schwierigkeiten. Der Abschied von liebgewonnenen Feindbildern hat eben noch nicht stattgefunden. Das ist auch schwierig, wenn man sich selbst für den Nabel der Welt hält.

Wie soll da der Diskurs über eine neue Standortbestimmung und Sinnhaftigkeit von Solidarität in einer polyzentrischen Welt geführt werden? Die kirchlichen und zumeist weiblichen Kreise der AAB (diese Geschichte muß noch geschrieben werden!) halten sich vorerst an ihrem Aktionismus fest: „Früchte- und Bankenboykott, Faltblätter und sonstige Aktionen.“ Sanktionen der EG zu fordern, auch das will man „noch ein halbes Jahr durchhalten, dann ist Südafrika genauso wie alle anderen Dritte-Weltländer, und die Anti -Apartheid-Bewegung gibt es vielleicht nicht mehr“, so Hildegard Lenz. Die Linken gingen frustriert nach Hause. Der nächste Ratschlag soll kommen. Aber es könnte der letzte sein.

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