■ Rassismus innerhalb der Polizei: Ein Abgrund tut sich auf
Nachdem seit 1992 vermehrt polizeiliche Übergriffe auf AusländerInnen bekannt wurden, wird in der Öffentlichkeit viel über die Gründe spekuliert. Ein Grund ist sicherlich die Ausländer- und Asylpolitik der Bundesregierung und die fremdenfeindliche Atmosphäre, die in der wiedervereinigten Republik überall spürbar ist. Gleichwohl sind Polizeiübergriffe kein Novum – allerdings haben sie unterschiedliche Konjunkturen.
Bereits im Herbst 1976 beschwerten sich in Deutschland lebende Ausländer auf einem Ausländer-Hearing des „Deutschen Verkehrssicherheitsrates“ über diskriminierendes Verhalten von Polizeibeamten im Straßenverkehr. Auch vor Beginn der gegenwärtigen „Mißhandlungswelle“ waren AusländerInnen bereits ein bevorzugtes, weil risikoloses Ziel polizeilicher Schläger. Nur selten wandten sich von Diskriminierungen und Mißhandlungen Betroffene an die Öffentlichkeit. Auch Strafanträge wurden nur in wenigen Fällen gestellt. Das änderte sich, nachdem in Berlin ein iranischer Student 1993 zwei Polizisten wegen Mißhandlung erfolgreich verklagt hatte. Plötzlich meldeten sich auch andere von Polizeimißhandlungen Betroffene zu Wort, und über Nacht standen nicht mehr zwei Beamte, sondern gleich zwei Polizeireviere in Berlin im Verdacht, daß dort immer wieder AusländerInnen mißhandelt würden. Eine Woche später ermittelte die Staatsanwaltschaft bereits in sechs Fällen; vier Monate später mußte eine Sonderkommission „Vietnam“ sich bereits mit dreißig Verfahren beschäftigen, und zum Jahresende war die Zahl auf rund hundert angewachsen.
Am 12. September 1994 geriet auch Hamburg in die Schlagzeilen. Das Ausmaß von Polizeiübergriffen gegen AusländerInnen habe „eine Dimension angenommen“, die er „nicht für möglich gehalten“ habe, erklärte der dortige Innensenator Werner Hackmann (SPD) und tat das, was sein Berliner Amtskollege Dieter Heckelmann (CDU) seit Monaten hartnäckig verweigert: er gab seinen Rücktritt bekannt. Ganz so überrascht hätte Hackmann nicht zu sein brauchen, da mittlerweile etliche Untersuchungen die Anfälligkeit der Polizei für Fremdenfeindlichkeit belegen. Bei der Diskussion um die möglichen Ursachen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtstendenzen in der deutschen Polizei wird zwar staatlicherseits immer noch darauf verwiesen, daß für eine seriöse Beurteilung kein verläßliches Zahlenmaterial zur Verfügung stehe. Tatsächlich gibt es bis heute keine umfassenden wissenschaftlichen Untersuchungen. Was es allerdings gibt, sind alarmierende Einzelergebnisse, die sich in Studien und Erhebungen von Länderpolizeien finden.
So etwa die Erhebung der Tübinger Wickert-Institute: eine im Auftrag des Yuppie-Magazins Wiener durchgeführte Befragung unter PolizeibeamtInnen. Danach lehnt eine Mehrheit der 1.170 Befragten die Partei der „Republikaner“ zwar eindeutig ab, zugleich bekundeten allerdings 69 Prozent Sympathien mit Politikern, die sich für Law and order stark machen. Gewalttätige Übergriffe auf Festgenommene hielten 87 Prozent für übertrieben und machten für das schlechte Image der Polizei vor allem eine negative Berichterstattung der Medien (29 Prozent) und arrogantes Auftreten einzelner KollegInnen (21 Prozent) verantwortlich.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam im letzten Jahr eine Projektstudie der Koblenzer „Fachhochschule für öffentliche Verwaltung/Fachbereich Polizei“, bei der knapp 550 rheinland-pfälzische PolizistInnen befragt wurden. Auch hier lehnte eine Mehrheit von 65 Prozent die „Republikaner“ klar ab. Gleichwohl galten Asylsuchende für den gleichen Prozentsatz als „soziale Bedrohung unserer Gesellschaft“. Gesellschaftlich integrierte Ausländer empfanden immerhin noch 16 Prozent als Bedrohung. Folgerichtig meinten denn auch 72 Prozent, Straftaten gegen Ausländer als „fremdenfeindlich“ einzustufen geschehe häufig zu voreilig. 62 Prozent fanden, daß die Beschäftigung von AusländerInnen im Polizeidienst zumindest problematisch sei.
Auch bei der Frankfurter Polizei denkt man ähnlich, so die Ergebnisse des in der Mainmetropole ansässigen „Instituts für Sozialforschung“. Drei Viertel von 116 PolizistInnen in Nordrhein-Westfalen glaubten, AusländerInnen anders behandeln zu müssen als Deutsche, und knapp der Hälfte würde eine Bundesrepublik ohne AusländerInnen besser gefallen, so die Studie der „Fachhochschule für öffentliche Verwaltung“.
Nach dem spektakulären Rücktritt ihres Hamburger Kollegen mußten sich die Innenminister – um ihres Ansehens willen – mit fremdenfeindlichem Verhalten innerhalb ihrer Polizeien über das bisher geübte Maß hinaus befassen. „Das Thema muß auf die Tagesordnung“, erklärte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Alwin Ziel (SPD), umgehend, um gleich am nächsten Tag wieder zu relativieren: „Wir werden [...] möglicherweise einen Arbeitskreis beauftragen, uns Vorschläge zu unterbreiten.“ Als Ergebnis der Beratung, so wurde der Presse 14 Tage nach der Konferenz mitgeteilt, habe man eine bundesweite Studie „Fremdenfeindlichkeit und Polizei“ in Auftrag gegeben und hierfür 50.000 Mark bereitgestellt. „Die Untersuchung wird daher nicht sehr breit angelegt sein“, bekannte angesichts dieses knappen Budgets der mit der Durchführung beauftragte Wissenschaftliche Direktor an der Polizeiführungsakademie, Manfred Murck, resigniert. Taktvoll verschwieg er, daß seine Dienstherren bei der Bekanntgabe ihres Beschlusses schlichten Etikettenschwindel betrieben hatten. Die Studie war längst beschlossen, bevor die Minister in Magdeburg überhaupt Platz genommen hatten. Damit bleibt als reales Ergebnis lediglich: „Die Innenministerkonferenz bekräftigt, daß die Polizei nach Recht und Gesetz handelt, auch gegenüber Ausländern. Bei Übergriffen der Polizei gegenüber Ausländern, denen ein fremdenfeindlicher Hintergrund zugeordnet wird, handelt es sich um nicht zu verallgemeinernde Einzelfälle.“ Der Grund, warum diese Behauptung immer noch durchgeht ist einfach: Es ist der Corpsgeist, der die Aufdeckung von Straftaten so schwierig macht. Da kann es nicht verwundern, wenn Offenbarungen aus Polizeikreisen zumeist anonym erfolgen und sich damit in Teilen gleich wieder selbst entwerten. Geradezu wohltuend nimmt es sich dann aus, wenn Beamte wie der Kölner Polizeioberrat Udo Behrendes ihre Deckung verlassen und unter voller Namensnennung gegen Kollegen Strafanzeige erstatten. Im September 1994, am vorläufigen Höhepunkt der Mißhandlungswelle, fand sich in der Frankfurter Rundschau ein bemerkenswerter Kommentar, in dem unter anderem zu lesen war: „Prügelnde Polizisten zerschlagen nicht nur Zähne oder Schlüsselbeine, sondern zugleich den Glauben an den Rechtsstaat.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Otto Diederichs
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