: Rassismus in Harmonie
45 Prozent der Brasilianer geben ihre Hautfarbe mit schwarz oder dunkel an. Von ihrer Kultur, ihrer Diskriminierung und besonders von ihrem politischen Karneval in Bahia erzählt Petra Schaeber in ihrer vielschichtigen Studie „Die Macht der Trommeln“
„Do you have blacks, too?“ Diese Frage stellte nicht der deutsche Bundespräsident Heinrich Lübke in den 60er-Jahren. Nein, mit ihr verblüffte im Jahr 2002 der US-Präsident George Bush seinen brasilianischen Amtskollegen Fernando Cardoso.
Diese Anekdote in Petra Schaebers Studie „Die Macht der Trommeln“ illustriert anschaulich, wie wenig über die Zusammensetzung der brasilianischen Gesellschaft bekannt ist – und das gilt nicht nur für George Bush. Nach Nigeria ist Brasilien das Land mit dem höchsten schwarzen Bevölkerungsanteil. Im Jahr 2000 waren mehr als 76 Millionen der 170 Millionen Einwohner Brasiliens schwarz. 45 Prozent aller Brasilianer gaben bei der Volkszählung im selben Jahr ihre Hautfarbe mit schwarz („preta“) oder dunkel („parda“) an.
Gleichzeitig ist Brasilien ein Land mit eklatanten sozialen Kontrasten. Der Unterschied zwischen dem hochindustrialisierten Südosten, etwa der Region São Paulo, und den wirtschaftlich unterentwickelten ländlichen Gebieten im Nordosten ist so groß wie der zwischen Mitteleuropa und einem Entwicklungsland. Das soziale Gefälle zwischen den reichsten und ärmsten Brasilianern ist unvorstellbar.
Zahlen und Fakten dazu durchziehen die Studie von Petra Schaeber, die in Salvador de Bahia im brasilianischen Nordosten als Volkswirtin und Brasilianistin arbeitet. Sie wartet mit einem differenzierten Geschichtsbild auf und wagt einen Blick auf die komplexen Gesellschaftsstrukturen der Gegenwart.
„Die Macht der Trommeln“ ist jedoch nicht nur für Wissenschaftler interessant, das Buch zeichnet ein überaus lebendiges Bild von einem Land, deren Bürger trotz aller Missstände offen für eine bessere Zukunft sind.
In der Vergangenheit wurde Brasilien oft als „Rassendemokratie“ charakterisiert: die Nachfahren europäischer Einwanderer, die indianischstämmige Bevölkerung und die Nachkommen afrikanischer Sklaven hätten also über alle Widerstände hinweg miteinander zu leben gelernt. „Ich würde diese Ansicht weiterhin teilen“, erklärt Petra Schaeber. „Es gibt nicht die offenen Konflikte, wie sie etwa in Ländern aufgetreten sind, die segregiert waren. Dennoch existiert hinter dem harmonischen Miteinander in Brasilien sehr wohl eine Form von subtiler rassistischer Diskriminierung, die zutage tritt, wenn es um ökonomische Verteilung und um Bildungschancen geht.“
So wird in Stellenanzeigen in Brasilien stets „boa aparěncia“ gefordert, gepflegtes Äußeres, was mit einem europäischen Erscheinungsbild und heller Hautfarbe gleichgesetzt wird. Da mute es besonders seltsam an, so Schaeber, wenn in einer großen deutschen Tageszeitung andererseits ein Aktienhoch an der Börse von São Paulo mit dem Foto einer dunkelhäutigen Sambatänzerin bebildert werde.
Zentral für „Die Macht der Trommeln“ sind die vielfältigen Ausformungen der afrobrasilianischen Kultur. In „langsamen Kamerafahrten“ umkreist die Autorin ihre Themen. So untersucht sie etwa den Karneval als Spiegel der brasilianischen Gesellschaft, in dem für kurze Zeit die Trennlinien der Gesellschaft überwunden scheinen, aber auch alte Traditionen bewahrt bleiben. So etwa in der Hafenstadt Salvador de Bahia. Sie ist eine der Hochburgen des brasilianischen Karnevals, 80 Prozent der Einwohner sind dort Schwarze. Salvador war ein Zentrum für den Handel mit Sklaven, die im Zuckerrohranbau in den klimatisch schwierigen nordöstlichen Regionen ausgebeutet wurden.
Der Karneval in Bahia ist eine Überlebensstrategie der afrobrasilianischen Bevölkerung. Bereits in den Jahren der brasilianischen Militärdiktatur, zwischen 1964 und 1985, fand eine Reafrikanisierung des Karnevals statt. Nur durfte damals darüber nicht öffentlich berichtet werden. Unter dem Eindruck der Black-Power-Bewegung in den USA, mit Hilfe der musikalischen Bezugsgrößen Soul und Funk, setzten Mitte der Siebzigerjahre auch in Bahia Proteste gegen die rassistische Benachteiligung im Alltag ein. So bildeten sich afrobrasilianische Karnevalsvereine, die sogenannten Blocos Afros. Der bekannteste Bloco Afro, Olodum, wird von Petra Schaeber porträtiert.
Aus dem Karnevalsverein der ehemals marginalisierten Gettobewohner von Salvador hat sich im Laufe der Zeit ein florierendes Kulturunternehmen mit Arbeitsplätzen und Ausbildungschancen für Jugendliche ergeben. Diese Entwicklungslinien gibt die Autorin nicht unkritisch wieder. Sie schreibt aber auch, dass man sich in Europa mit den brasilianischen Erfahrungen von Rassismus oder Gettoisierung und den immer größer werdenden sozialen Gegensätzen vermehrt auseinander setzen sollte. JULIAN WEBER
Petra Schaeber: „Die Macht der Trommeln. Olodum und Blocos Afros aus Salvador/Bahia. Afrobrasilianische Kultur und ‚Rassen‘beziehungen“. Verlag Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2006, 250 Seiten, 20 Euro