Rassismus-Diskussion über taz-Titel: Ist dieses Wortspiel diskriminierend?
Nicht nur in US-Blogs, auch in der taz wird der Titel vom Donnerstag kontrovers debattiert: Ist die Anspielung auf "Onkel Toms Hütte" im Zusammenhang mit Obamas Kandidatur unzulässig? Zwei Stimmen.
Ja!, sagt Dominic Johnson
Als Barack Obama geboren wurde, durften die meisten US-Schwarzen noch nicht einmal wählen - heute steht ein Schwarzer kurz vor dem höchsten Staatsamt. Nichts könnte weiter von diesem fulminanten Triumph entfernt liegen als die Romanfigur "Onkel Tom" - jener gutmütige, strenggläubige Sklave der US-Südstaaten des 19. Jahrhunderts, der sich in sein Schicksal fügt, der seine kleine Hütte liebgewonnen hat, der selbst bei brutalster Folter seinem Herrn vergibt, der lieber stirbt als seine geflohenen Kameraden zu verraten oder sich ihnen anzuschließen.
Der Roman "Onkel Toms Hütte" ist eigentlich eine flammende Schrift gegen die Sklaverei, aber sein Held ist in der afroamerikanischen Diskussion der USA zum Inbegriff des unterwürfigen Negers geworden, der die Verhältnisse erduldet, statt sie zu verändern. Ein "Onkel Tom" ist heute im politischen Diskurs der USA ein Verräter; ein Schwarzer, der für die Interessen von Weißen arbeitet. Jemanden so zu nennen, ist eine Beschimpfung. Diese Charakterisierung hat eine im aktuellen Kontext perfide Vorgeschichte: Als im späten 19. Jahrhundert die Demokraten in den US-Südstaaten mit dem Ku Klux Klan die Rassentrennung hochhielten, wurde "Onkel Tom" zum Schimpfwort für Schwarze, die von den damals bei Bürgerrechten fortschrittlicheren Republikanern zu den Demokraten wechselten.
Was also könnte es bedeuten, das Weiße Haus für den Fall eines demokratischen Wahlsieges zu "Onkel Baracks Hütte" zu erklären? Der Diskurs infantiler Ultralinker vielleicht, oder des geschassten Predigers Jeremiah Wright, wonach Obama dadurch zum Verräter wird, dass er innerhalb des Systems agiert?
Sollte mit "Onkel Barack" Obamas Politik charakterisiert werden, ist es Quatsch, und da er selbst ja nun gerade nicht von Sklaven abstammt, sondern von schwarzen Kenianern und weißen US-Amerikanern, ist die literarische Referenz "Onkel Tom" auf ihn nicht einmal im Ansatz anwendbar - außer man hält die Übereinstimmung für ausreichend, dass er (halb) schwarz ist. Damit ist der einzige Bezug seine Hautfarbe und der einzige Bezugsrahmen ein rassistisches Stereotyp.
"Onkel Barack" ist dann ungefähr so wie die rechtskonservative Gleichsetzung "Obama = Osama", also Bin Laden, wegen Barack Obamas Zeit im islamischen Indonesien und seines zweiten Vornamens Hussein. "Husseins Höhle" hätte man auch titeln können. Ach, das geht nicht? Interessant.
Es gehört schon bemerkenswerte Gedankenlosigkeit dazu, beim Erfolg eines schwarzen Politikers in den USA zuerst an "Onkel Tom" zu denken.
Nein!, sagt Bernd Pickert
Die taz vom Donnerstag hat heftigste Reaktionen ausgelöst: Die Schlagzeile "Onkel Baracks Hütte" sei rassistisch, wird uns vorgeworfen, jeder Vergleich des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama mit der Figur "Onkel Tom" aus dem 1852 erschienenen Roman von Harriet Beecher Stowe sei eine Beleidigung für Obama und eigentlich alle Afroamerikaner.
Der Onkel Tom aus dem Roman ist ein schwarzer Sklave, der versucht, sich mit den weißen Herren gutzustellen und sich lieber in Gottesfürchtigkeit flüchtet, als gegen die Sklaverei aufzubegehren. Er gibt seine Eigenschaft als handelndes Subjekt völlig auf - fast jedenfalls. Er verhilft zwei anderen Sklaven zur Flucht, und weil er dem Sklavenhalter nicht sagt, wo sie hin sind, lässt der ihn umbringen.
Die Autorin war eine glühende Gegnerin der Sklaverei, ihr Roman wurde weltweit als Anklage der Verbrechen der Sklaverei gesehen - nicht als Buch über die Blödheit der Schwarzen. Vor allem in den USA allerdings hat sich spätestens seit der schwarzen Bürgerbewegung der 60er-Jahre die Rezeption von "Onkel Toms Hütte" geändert. Als die schwarze Bevölkerung aus der Rolle der unterdrückten Opfer heraustrat, wurde "Onkel Tom", vor allem unter Schwarzen, zum Schimpfwort.
Daran knüpft die Kritik an der taz-Seite an: Barack Obama als "Onkel Tom" zu bezeichnen, sei ja wohl das Allerletzte. Wie aber ist es denn, das Weiße Haus als "Hütte" zu bezeichnen? Genau darauf aber kommt es an, genau deshalb gibt es ein Bild - extra breit über die ganze Seite gezogen - vom politischen Machtzentrum in Washington, kombiniert mit der Titelzeile. Welchen größeren Kontrast könnte es geben als den vom unterdrückten, willfährigen Sklaven zum Kandidaten für das höchste Amt der USA? Es ist diese großartige Geschichte, die schrittweise Überwindung der rassistischen Unterdrückung in den USA, für die Obamas Nominierung unstrittig einen Meilenstein darstellt, die auf unserer Seite zum Ausdruck kommt. "Onkel Tom" und seine Sklavenhütte sind Vergangenheit.
Muss ein Obama-Titel denn überhaupt auf seine Hautfarbe eingehen? Sicher, das politische Ausnahmetalent Barack Obama auf sein Schwarzsein zu reduzieren, wäre wirklich rassistisch. Aber wir würden uns die Welt schönlügen, täten wir so, als spielte seine Hautfarbe keine Rolle. Worum ging es denn in der Auseinandersetzung um seinen Pastor Jeremiah Wright, bitte? Wir geben mit der Zeile und dem majestätischen Bild des Washingtoner Machtzentrums dem Triumph Ausdruck, dass Onkel Tom passé ist - in Zeiten Onkel Baracks ist alles ganz anders. Schade, dass das missverstanden werden konnte.
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