Rap: Die größte Zwergin im Geschäft
Europäische Rapper schaffen es sehr selten in die USA - Lady Sovereign ist mit ihrem Debütalbum "Public Warning" eine Ausnahme. Zu Recht?
L ady Sovereign sieht nicht im Entferntesten aus wie eine Punkerin. Vielmehr besteht das bevorzugte Outfit der 22-Jährigen aus London aus einem zur Seite gebundenen Pferdeschwanz, Kapuzenpulli - gerne mit einem rosafarbenen Muster wie beim Interview -, übergroßem T-Shirt, Jeans und Turnschuhen, bevorzugt von der Marke mit den drei Streifen. Dennoch ist Punk ein wichtiger Referenzpunkt in ihrer Musik, und es ist mehr als ein Zufall, dass ihr jüngster Song - erschienen auf dem Soundtrack-Album zur US-Fernsehserie "O. C. California" - ein Cover des Stücks "Pretty Vacant" von den Sex Pistols ist.
In den Schubladen der Musikindustrie wurde ihre Musik bisher stets unter Grime eingeordnet, jenem hyperaktiven Hybrid aus Rap und Versatzstücken der britischen Rave-Tradition, den Künstler wie Dizzee Rascal oder Wiley bekannt gemacht haben. Als Grime 2003 explodierte, verglichen einige englische Kritiker den neuen Musikstil aus den Sozialwohnungen der armen Viertel Londons aufgrund seiner rohen Energie und dem Do-it-yourself-Ethos der Macher mit dem Punk der späten Siebzigerjahre.
Doch auch wenn die Postulierung von Grime als neuer Soundtrack der - in diesem Fall vor allem schwarzen - Arbeiterklasse etwas aufgesetzt wirkte: Im Fall von Lady Sovereign sind die Parallelen offensichtlich. Auf ihrem heute erschienenen Debütalbum "Public Warning" findet sich eine Reihe von Stücken mit gesampelten Punkrock-Gitarren, und ihr Rapstil ist durchsetzt mit Rülpsern und anderen Störgeräuschen, wie sie auch Johnny Rotten nicht besser hinbekommen hätte. Da verwundert es kaum, dass Lady Sovereigns Eltern, wie sie nicht ohne Stolz erzählt, in ihrer Jugend "richtige Punks" waren: "Es gibt Fotos, auf denen mein Vater einen Haufen Sicherheitsnadeln in den Armen hat und meine Mutter einen riesigen Irokesenschnitt trägt."
"Bis vor zwei Jahren mochte ich überhaupt keinen Punkrock", fährt sie fort. "Heute mag ich die Musik, aber wegen der Energie und nicht weil mein Vater sie gehört hat." Punk spielt bei ihr vor allem als musikalisches Zitat und als Teil ihrer demonstrativen Working-Class-Attitüde eine Rolle. Als Teenager war sie von UK Garage und Grime fasziniert und alles habe damit angefangen, dass sie auf Internetforen Songtexte und kleine DJ-Sets veröffentlicht hat. Dabei musste sie feststellen, dass in der Szene ein harter Konkurrenzkampf herrschte, bei dem ihr Aussehen und Geschlecht sehr schnell instrumentalisiert wurden. Als Mädchen, und noch dazu weiß, sei es sehr schwer gewesen, akzeptiert zu werden. Wahrscheinlich grenzt sie sich deshalb heute so deutlich von der Grime-Szene ab: "Ich fühle mich nicht als Teil von irgendetwas. Ich bin Lady Sovereign! Ich bin mit Grime groß geworden, aber ich habe alle anderen hinter mir gelassen."
Mit ihrem Plattenvertrag beim renommierten amerikanischen Hiphop-Label Def Jam hat sie tatsächlich etwas erreicht, was keinem anderen britischen Künstler aus der Grime-Generation bisher gelungen ist. Für Def Jam wiederum ist die Aufnahme von Lady Sovereign ein gewagter Schritt. Schließlich rappt sie im schwer verständlichen Londoner Straßenslang, und die musikalische Mischung aus Grime, Ska und Punk bewegt sich weit außerhalb der Konventionen des US-Mainstreams.
Im amerikanischen Hiphop-Geschäft wirkt Lady Sovereign aber nicht nur wegen ihrer Musik, sondern auch mit ihrem Auftreten wie ein Fremdkörper. Denn sie widersetzt sich offensiv dem herrschenden sexistischen Schönheitsideal: "Never had my nails done, bite them down until theyre none", reimt sie auf "Love Me Or Hate Me". Ihr erklärtes Vorbild ist Missy Elliott, die sich auch stets dem Frauenbild der Hiphop-Industrie verweigert hat und auf "Public Warning" als einziger Stargast vertreten ist. "Ich mochte schon immer, was sie macht, denn sie ist anders als der Rest. Sie spielt in ihrer eigenen Liga." Und fügt hinzu: "Ich will nicht arrogant klingen, aber genauso sehe ich auch mich: Ich bin ebenfalls in meiner eigenen Gewichtsklasse. Keiner kann das, was ich tue, so machen wie ich." Eine wichtige Voraussetzung für das Bestehen auf dem amerikanischen Markt bringt die selbst proklamierte "größte Zwergin des Musikgeschäfts" ohne Zweifel mit: Bei gerade mal 1,52 Meter Körpergröße ist sie mit dem Selbstbewusstsein eines Schwergewichtboxers ausgestattet.
Lady Sovereign: "Public Warning" (Def Jam/Universal)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!