Randale nach Tod von Lazio-Rom-Fan: Polizist bestreitet absichtlichen Schuss
Nach dem Tod eines Fußballfans durch den Schuss eines Polizisten ist es in Rom in der Nacht zu schweren Ausschreitungen gekommen. Der Todesschütze spricht von einem Versehen.
ROM taz Es war eine Szene, wie sie sich fast jedes Wochenende gleich mehrfach abspielt auf Italiens Autobahn-Raststätten. Ein Auto mit Fans von Lazio Rom fährt da um kurz nach neun am Sonntag auf die Raststätte Badia del Pino in der Toskana, für eine Pinkelpause oder einen schnellen Espresso, auf dem Weg nach Mailand, denn am Nachmittag tritt Lazio dort gegen Inter an. Fünf junge Männer steigen aus - und sehen sich vier Juventus-Turin-Anhängern gegenüber. Ein Wort gibt das andere, schnell fliegen die Fäuste. Eine zufällige Begegnung mit Schlägerei eben, diesmal sogar eher im kleinen Maßstab, nicht wie in so vielen anderen Fällen in den Vormonaten, in denen ganze Busladungen verfeindeter Tifosi-Gruppen aufeinander losgegangen waren und dabei nebenher noch die Raststätte zu Kleinholz gemacht hatten.
Es hätte wohl mit ein paar blauen Flecken sein Ende gehabt - wenn da nicht ein zweiter, fataler Zufall gewesen wäre. Die Fans prügelten sich auf dem Rastplatz in nördlicher Fahrtrichtung; von gegenüber aber, quer über die Autobahn, sahen die Beamten einer Streife der Verkehrspolizei zu. Genau konnten sie wohl kaum ausmachen, was da ablief, außer dass es heftig zur Sache ging. Einer der Beamten schaltete die Sirene ein, um die Kontrahenten auf die Polizeipräsenz aufmerksam zu machen, und der andere zückte seine Pistole, feuerte einen Warnschuss in die Luft. Das reichte, um den Krawall zu beenden: Die Lazio- genauso wie die Juve-Tifosi hechteten in ihre Autos und fuhren los. Hier hätte die Geschichte enden können, gut höchstens für eine kleine Meldung im Lokalteil.
Doch sie ging weiter, mit einer ebenso absurden wie tragischen Wendung. Der Beamte mit der Waffe in der Hand schießt noch einmal, und die Kugel schlägt ins hintere linke Seitenfenster des Wagens ein, in dem die Lazio-Fans sitzen, trifft den 28-jährigen Gabriele Sandri in den Hals. Luigi S., der Todesschütze, sagt, der Schuss habe sich "gelöst" aus der Waffe, die er noch in der Hand hielt, als er in Fahrtrichtung der startenden Autos gelaufen sei, um wenigstens die Modelle zu identifizieren. "Gelöst", um aus mindestens 50, wenn nicht 70 Metern Entfernung den abfahrenden Wagen zu treffen.
Er habe auf niemanden gezielt, bekräftigte Luigi S. in der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" vom Montag. "Ich bin am Boden zerstört. Ich habe zwei Familien zerstört, die des Jungen und meine eigene." Der Zeitung zufolge hätten die Regeln der italienischen Polizei verlangt, dass der Polizist seine Waffe nach dem Warnschuss in die Luft wieder in das Halfter steckt.
Damit hat Italiens Erste Liga, die "Serie A", ihre zweite Tragödie in nur zehn Monaten. Im Februar hatte der Polizeikommissar Filippo Raciti bei schweren Fan-Krawallen während des sizilianischen Inselderbys Catania-Palermo tödliche Verletzungen erlitten - und nun lag ein Tifoso in seinem Blut, nur wenige Stunden bevor im ganzen Land acht Erstliga-Spiele anzupfeifen waren, zu einem Zeitpunkt also, als schon zehntausende Fans auf dem Weg zu den Austragungsorten waren. Das Innenministerium hatte in Absprache mit den Sportfunktionären eine ebenso schnelle wie heikle Entscheidung zu treffen: entweder alle Spiele abzusagen, mit dem Risiko, dass Fanhorden randalierend durch Mailand, Rom, Florenz zögen, oder alles ganz "normal" weiterlaufen zu lassen.
Es war Italiens Polizeichef Antonio Manganelli, der kategorisch die Durchführung der Spiele verlangte und auch erreichte, während der Fußballverband und das Italienische Olympische Komitee eine Absage forderten. Ihr Argument: Nach dem Tod des Polizisten im Februar habe es gleich eine mehrwöchige Unterbrechung des Spielbetriebs gegeben, nun könne man im Angesicht eines toten Fans nicht andererseits binnen Stunden zu "business as usual" übergehen und bloß die Partie Inter-Lazio und das für den Abend angesetzte Spiel AS Rom-Cagliari absagen.
So wurden die Spiele um 15.40 Uhr angepfiffen, mit gerade einmal zehn Minuten Trauer-Verspätung, und es kam, wie es die Sportfunktionäre befürchtet hatten: Die Hooligans empfanden die Entscheidung als Provokation, als Zeichen, dass "ihr Toter" nichts wert sei. In Mailand verbrüderten sich Inter- und Lazio-Tifosi in einem gemeinsamen Demonstrationszug, "Tritt zurück!" forderten sie auf einem Transparent den Innenminister Giuliano Amato auf, auf einem anderen Transparent hieß es, "für einen toten Polizisten wird die Meisterschaft unterbrochen, ein toter Tifoso hat keine Bedeutung". In Florenz begnügten die Fans sich mit "Mörder, Mörder!"-Sprechchören gegen die Polizei, in Bergamo dagegen - mit einer Fankurve, die den Lazio-Anhängern traditionell nicht eben freundlich gesonnen ist, begannen die Hooligans sofort nach dem Anpfiff zu randalieren, machten sie sich daran, die Glasbarriere vor dem Spielfeld einzureißen. Den an den Zaun eilenden Spielern ihrer Mannschaft erklärten sie klipp und klar, es werde "Gravierendes" passieren, wenn das Spiel nicht sofort abgebrochen werde. Das wollte der Schiedsrichter nicht riskieren: Nach nur sieben Minuten schickte der die Mannschaften wieder in die Kabine.
Zu wahren Stadtguerilla-Szenen aber kam es am Abend in Rom. Hunderte AS Rom-Fans fanden am Olympiastadion mit den ihnen eigentlich tief verfeindeten Lazio-Anhängern zusammen; beide Gruppen hatten diesmal Schals, Mützen, Fahnen mit den Farben ihrer Clubs zu Hause gelassen. Diesmal galt der Hass allein den Ordnungshütern. Die Hooligans beschränkten sich nicht auf eine Straßenschlacht mit der Polizei. Nachdem sie mit umgestürzten Mopeds, mit in Brand gesteckten Müll-Containern rund ums Stadion Straßensperren errichtet hatten, gingen sie in die Offensive. Zunächst versuchten sie den Sturm auf eine Polizeikaserne, setzten dabei mit einer Brandbombe einen Bus und mehrere Autos in Flammen; dann zogen sie, bewaffnet mit Latten, Stahlrohren und Pflastersteinen, durch die anliegenden Viertel, von einem Polizeirevier zum anderen, stürmten schließlich den Sitz des Olympischen Komitees.
Szenen einer Totalkonfrontation, die die nach dem Tod Racitis im Februar von Staat und Sportverbänden verfolgte Befriedungsstrategie zu Makulatur machen. Strenge Auflagen waren damals durchgesetzt worden: Namentlich ausgestellte Tickets werden an den eigens neu gebauten Drehschleusen minutiös geprüft, die Fans müssen Taschenkontrollen über sich ergehen lassen, die Transparente werden auf rassistische oder gewalttätige Parolen gecheckt. Um 80 Prozent ist die Gewalt in den Stadien in der laufenden Saison zurückgegangen - doch unter den Hooligans ist die Stimmung gefährlich aufgeladen. Da sind auf der einen Seite die seit Jahren stramm rechtsradikal politisierten Fankurven zum Beispiel von Inter Mailand oder Lazio Rom; da sind auf der andren Seite aber auch jede Menge "unpolitische" Fans oder - wie im Falle von Livorno, Bergamo oder Perugia - auch stramm linke Hools. Für sie war das Wochenende in der Regel Gelegenheit, sich mit "feindlichen" Tifosi zu prügeln. Jetzt, so scheint es, gibt es nur noch einen Feind; jetzt heißt es auf Fan-Websites in Erinnerung an den toten Polizisten von Catania: "10, 100, 1000 tote Raciti!" Jetzt will Italiens Sportministerin Giovanna Melandri erst einmal alle Fußballspiele fürs nächste Wochenende absagen. Und womöglich wird die Regierung, als vorerst vorletzte Eskalationsstufe vor dem generellen Zuschauerausschluss, eine Totalverbot von Fanreisen zu Auswärtsspielen verhängen.
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