: Rakowski, der Biegsame
Mieczyslaw Rakowski, der Bauernsohn aus Kowalenko, hat es geschafft. Am Wochenende kürte ihn das Zentralkomitee der polnischen Kommunisten (PVAP) zum Nachfolger Jaruzelskis als Parteichef. In Polen hat seine Wahl niemanden sonderlich überrascht. Schließlich war schon bei seinem Rücktritt als Ministerpräsident klar, daß der 63jährige Politiker sich nicht wieder mit dem Posten eines stellvertretenden Sejmmarschalls (Parlamentspräsidenten) begnügen würde, den er bis Mitte 1988 innehatte.
Das Abstimmungsergebnis im ZK, 171 Ja- bei 41 Gegenstimmen, zeigt jedoch, daß seine Kandidatur nicht unumstritten war. Gewichtige Vorbehalte gegen den neuen Parteichef resultieren aus seiner neunmonatigen Amtsperiode als Premier. Als Bilanz seiner Wirtschaftspolitik hinterließ er ein riesiges Budgetdefizit, eine dreistellige Inflationsrate, leere Lebensmittelgeschäfte und massive Bauernproteste.
Rakowski ist kein Wirtschaftsfachmann. Politische Gesichtspunkte rangierten bei ihm vor wirtschaftlichen. Um Ruhe bei den Verhandlungen mit Solidarnosc am runden Tisch zu haben, mußte allen etwas gegeben, keinem durfte etwas genommen werden. Rakowski war schließlich, so sagen Eingeweihte, auch nicht Premier geworden, um die Wirtschaft zu sanieren, sondern um seiner Partei das Problem Solidarnosc vom Halse zu schaffen. Unvergessen bleibt seine plakative Formel: „Das Volk braucht keinen runden, sondern einen gedeckten Tisch.“ Doch seine Rechnung - mehr Brot, weniger Demokratie - ging nicht auf. Wegen seines verfehlten Wirtschaftskurses will ihn nun die Opposition sogar vor den Staatsgerichtshof zerren.
Lange Zeit galt der neue Parteichef, der 1955 als Redakteur der kommunistischen Wochenzeitung 'Polityka‘ seine politische Karriere begonnen hatte und zwei Jahre später zu deren Chefredakteur avancierte, in den eigenen Reihen wie bei der Opposition als Reformer. Unter seiner Kuratel entwickelte sich die 'Polityka‘ zu einer kritischen, auch der eigenen Partei distanziert gegenüberstehenden Zeitung von hohem Niveau. Schon in den sechziger Jahren trat sie für mehr Marktwirtschaft ein. Und als General Moczar mit seiner Fraktion 1968 eine antisemitische Kampagne gegen „Zionisten, Reformisten und Kosmopoliten“ lostrat, war es Rakowski, der dagegen hielt. Fast hätte es ihn seinen Chefredakteursposten gekostet.
Nach diesen Erfahrungen hielt man ihn auch 1980 für den geeigneten Mann, um mit der neuentstandenen Gewerkschaft Solidarnosc einen Interessenausgleich zustandezubringen. Viele Intellektuelle sahen in ihm einen Ansprechpartner. Hatte er doch in den 70er Jahren selbst zu dem Krakauer intellektuellenzirkel „Kuznica“ gehört, der aus der innerparteilichen Unzufriedenheit mit der ausklingenden Gierek-Ära entstanden war.
Das Ausland sieht in ihm auch heute noch den Liberalen, einen überzeugten Reformer. Vergessen wird dabei, daß er es war, der sich lange Zeit gegen die Wiederzulassung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc gewehrt hat. Noch bis kurz vor den Verhandlungen am runden Tisch verkündete er auf Auslandsreisen, eine Zulassung der Gewerkschaft sei völlig undenkbar. Erst als er sie nicht mehr verhindern konnte, hielt er vor dem ZK seine berühmte Geheimrede. Darin forderte er die Genossen auf, sie sollten an der Basis in den Betrieben nachforschen, auf welche Kräfte sich die unabhängige Gewerkschaft dort stütze. Ob es sich die Kommunisten wirklich leisten könnten, diese politische Kraft zu ignorieren, fragte er.
1987 hatte er sich noch mit einem internen Strategiepapier gegen die herrschende Politik seiner Partei gewandt. Tenor: Komme man der Opposition nicht entgegen und ändere man nicht die Wirtschaftspolitik, dann werde es für die Regierung eine Katastrophe geben. Kurz darauf wurde Rakowski Mitglied des Politbüros. Als dann allerdings im Mai 1988 die erste große Streikwelle Polen erschütterte, hatte Rakowski seine Maxime vergessen. Anstelle von Parteichef Jaruzelski eröffnete er die Auseinandersetzung mit den Streikenden. In einer landesweiten Pressekampagne denunzierte er sie als unverantwortliche Elemente, denen man nicht nachgeben dürfe. Viele Gewerkschafter fühlten sich damals an die Zeiten des Kriegsrechts erinnert, als der liberale Reformer plötzlich zum Propagandisten der neuen Ordnung wurde.
„Hätte er Charakter besessen, dann hätte er den Hut nehmen müssen“, meinen viele Oppositionelle noch heute. Doch das entspräche nicht dem Naturell dieses Mannes, der von sich sagt: „Ich muß Politik machen, das ist mein Leben, Politik macht mir Spaß.“ Auch wenn der Parteiapparat den Einzelgänger nie wirklich akzeptiert hat - in unruhigen Zeiten ließ er sich immer gut für die Interessen der Partei einsetzen. Ideologische Scheuklappen kennt er nicht. Anders als manche Dogmatiker braucht er nicht ständig zu versuchen, die politische Wirklichkeit nach seiner Ideologie zurechtzubiegen. Seine Gegner nennen das Opportunismus, seine Anhänger preisen es als Flexibilität.
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