Radio Tirana im Westen: Sendeschluss für Stalin
Übers Radio sendete das kommunistische Albanien Propaganda in den Westen. Der deutsche Hörerklub für „Radio Tirana“ wird nun aufgelöst.
Es war der 1. Preis beim Hörerwettbewerb des deutschsprachigen Programms von Radio Tirana – und der damals 22-jährige in der Nähe von München lebende Buchbinderlehrling Werner Schubert hat ihn gewonnen. Ende der 1980er war das, Albaniens Diktator Enver Hoxha war schon drei Jahre tot, sein Regime kämpfte ums Überleben – aber auch weiterhin um internationale Anerkennung: Das isolierte Land hatte sich in der Folge mit Titos Jugoslawien, Chruschtschows Sowjetunion und dann auch mit China überworfen. Propaganda spielte eine herausragende Rolle, Radio Tirana hatte dabei eine zentrale Funktion und sendete in 21 Fremdsprachen.
Und einer dieser Hörer – weit weg im Westen – war Werner Schubert: ein kurzwellenbegeisterter Jugendlicher, der Anfang der 1980er-Jahre bei Radio Tirana hängengeblieben war, treuer Hörer wurde und nach der Wende sogar einen Klub gründete, der bis heute besteht. Zumindest gerade noch: Zum Jahresende wird dieses Kapitel deutsch-albanischer Beziehungen enden. Doch später mehr zu Werner Schubert, seinem Preis und dem Hörerklub.
Wie der deutsche Dienst von Radio Tirana seine Arbeit vor dem Fall des Hoxha-Regimes organisierte und zum Teil von der BRD aus steuern ließ, ist bestens dokumentiert: Seit den 1970er-Jahren veröffentlichte der Rotfront-Verlag Kiel das regelmäßig erscheinende „Nachrichtenbulletin des einzigen sozialistischen Senders in Europa“. Im Jahr 1961 hatte Albanien mit der Sowjetunion gebrochen. Zum ideologischen Statthalter des Landes in Westdeutschland wurde die Splitterpartei KPD/ML.
Zu dem einwöchigen 7. Parteitag der albanischen Arbeiterpartei im November 1976 erschien im Rotfront-Verlag ein 92-seitiges Sonderheft, mit der Abschrift der Sendungen, in denen es um die „äußerst revolutionäre Atmosphäre“ des Parteitags, Hoxhas Reden und den nächsten Fünfjahresplan ging. Ausführlich zitiert wurde im Programm der Vorsitzende der KPD/ML, Ernst Aust, der mit einer ganzen Delegation seiner „Bruderpartei“ nach Tirana gekommen war. Den Abschied der Warschauer-Pakt-Staaten von Albanien rügte Aust scharf: Die „Honecker-Bande“ habe „die DDR in ein Generalgouvernement der russischen Sozialimperialisten verwandelt“. Der erste Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden sei nicht mehr.
Was heute extrem plump erscheint, war es vermutlich auch früher schon. Trotzdem fand die KPD/ML immer wieder Genoss:innen, die sogar Albanisch lernten, um Enver Hoxha eine ideologische Stütze zu sein. Zu ihnen gehörte Joachim Röhm, der in Tübingen Germanistik studiert hatte und der nach der Wende der wichtigste Übersetzer von Ismail Kadarés Werk ins Deutsche wurde: dem international wohl erfolgreichsten Autor Albaniens. Röhm ging 1977 mit seiner Frau Doris nach Albanien, gemeinsam, um die Redaktionsarbeit des deutschen Dienstes von Radio Tirana für mehrere Jahre mitzulenken – „auf Anregung der Partei“, wie das damals hieß. In der Regel wurden Ehepaare entsandt, die sich dann auch gegenseitig kontrollieren sollten.
Broschüre unterm Doppeladler
Zurück zu Werner Schubert, dem jungen Hörer aus Bayern: „In der Schule war ich ein Außenseitertyp“, erzählt er im Rückblick. Das „irgendwie ungewöhnliche“ Land Albanien, das keiner kannte, und sein deutschsprachiges Radioprogramm empfand er für sich als passend. Beim Preisrätsel beantwortete er alle zwölf Fragen ausführlich, fügte sein Getipptes zu einer kleinen Broschüre im DIN-A5-Format zusammen. Auf den Umschlag prägte er das albanische Wappen mit dem Doppeladler, damals noch mit rotem Stern.
Das beeindruckte Parteifunktionäre in Tirana: Der Auslandsdirektor des Senders schickte ihm eine Einladung zu einer zweiwöchigen Albanienreise, die dann im Frühjahr 1989 auch tatsächlich stattfand, bevor auch dieses Regime fiel. Der Sender sparte an fast nichts. Er buchte und bezahlte dem jungen Mann Flüge in der Businessclass via Zürich. Am Flughafen wartete ein Volvo mit Fahrer auf ihn. Kreuz und quer ging es durch das Land. In Tirana untergebracht war er im feinen Albturist-Hotel Tirana direkt am Skanderbegplatz. Von dort konnte der Berufsschüler sehen, wie das Land Anfeindungen von außen trotzte: „Stalin stand noch an seinem Platz.“
Von der ideologischen Arbeit der Splitterpartei KPD/ML in Albanien hat Schubert dann erst nach seiner bizarren Reise so richtig Kenntnis bekommen. Der Sender aber hat ihn dennoch nicht losgelassen: Nach der Wende versammelte er in einem „Hörerklub Radio Tirana“ zwischenzeitlich bis zu 100 Interessierte in den deutschsprachigen Ländern. Sie bekamen von ihm Rundbriefe per Post, selbstredend oft mit einem Preisrätsel. Nachdem die Fremdsprachenprogramme aus Tirana nun nicht mehr auf Kurzwelle, sondern bloß noch im Internet zu empfangen sind, wird auch der Hörerklub ab 2025 nur noch Geschichte sein.
Die für Tirana tätigen westdeutschen kommunistischen Sektierer hatten in den Jahren bis 1990 immer ausgefeilter agiert. Um weniger nach außen erkennbar zu sein, machte die KPD/ML im Verlauf der Jahre die Deutsch-Albanische Freundschaftsgesellschaft zu ihrem Arm. Diese schickte dann nicht nur immer wieder weitere „Fachleute“ zum Radio. Sie übernahm auch die Rolle eines Quasiparteikommissariats, wenn irgendwo Schlechtes über Albanien gesagt oder geschrieben wurde.
Ärger für die Feindpresse
So erging es dem Stern, der im März 1980 eine mehrseitige Albanienreportage unter dem Titel „Der rote Unbekannte“ veröffentlicht hatte. Zwei Reporter hatten sich in eine Reisegruppe geschmuggelt, mit einem „geeichten Funktionär der KPD/ML“ als Reiseleiter, wie sie schrieben. Die Autoren behaupteten sogar, die Bevölkerung im einstigen „Armenhaus Europas“ habe unter Hoxha zu einer „gerechteren und vor allem menschenwürdigeren Gesellschaftsform gefunden“. Aber sie unterschlugen eben nicht die „gegenseitige Denunziation und Überwachung“. In der Reportage ist dazu auch von geschätzt 12.000 politischen Gefangenen die Rede, ein großer Teil von ihnen sei in Arbeitslagern „eingesperrt“.
Der Chef der Freundschaftsgesellschaft protestierte daraufhin in einem Brief an Henri Nannen lautstark: „aus den Fingern gesaugt“, „aus der Luft gegriffen“. Er habe bei seinen zahlreichen Reisen durch das Land von Arbeitslagern jedenfalls „nichts bemerkt“. Der Protestbrief ist noch immer im Netz zu finden.
Einer, der das alles von innen so ereignisreich wie wenige andere erlebt hat, ist Astrit Ibro. Er arbeitete jahrzehntelang für das deutsche Programm von Radio Tirana, zunächst seit April 1978 als Übersetzer. Germanistik hatte er bis dahin in Peking studiert, was ihm zunächst gar nicht passte, aber eben Parteiauftrag war. Und ihn in dem Glauben bestärkte, dass im kommunistischen Albanien die Dinge gar nicht so schlecht liefen: „Es ging uns besser als in China.“ Und er wendet ein: Sollte man nicht auch sehen, dass unter Hoxha viel geleistet worden sei bei der Entwicklung der Landwirtschaft, der Eindämmung der Malaria und dem Kampf gegen Analphabetismus?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Im Jahr 1978 kamen der spätere Kadaré-Übersetzer Röhm und seine Frau mit Ibro und einem weiteren Kollegen in einem Zimmer bei Radio Tirana zusammen: einem Haus, das in den 1960er-Jahren mit großzügiger chinesischer Hilfe errichtet worden war. Die beiden seien seine Übersetzungen Satz für Satz durchgegangen, hätten ihm Sprüche und Redewendungen beigebracht und erklärt, dass ein grammatikalisch richtiger Satz nicht unbedingt Deutsch klinge, erzählt Ibro. Wie die ideologische Anleitung lief, lässt er unerwähnt. Erst seit ein paar Jahren ist Ibro, Jahrgang 1954, im Ruhestand. Seine Auslandsprogramme hat der Sender auf sieben Fremdsprachen reduziert.
Mit der agitatorischen Tätigkeit im Ausland wollte das kommunistische Albanien seiner Bevölkerung zeigen, dass es nicht allein sei, wie Astrit Ibro bei einem Gespräch im Spätsommer in einem Café in Tirana sagt. Er bezweifelt im Rückblick, dass es bei den Fremdsprachenprogrammen in kommunistischer Zeit überhaupt um viele Hörer:innen gegangen sei. Viel eher sollten, vermutet er, politische Botschaften an die Regierungen, übermittelt werden, beispielsweise die in Bonn. Die Sehnsucht des einst selbstisolierten totalitären Systems nach internationaler Wahrnehmung war offenkundig. Einem „kurzwellenverrückten“ jungen Mann – so wird Werner Schubert von Astrit Ibro genannt – verschaffte sie auf den letzten Metern des erodierenden Systems eine Luxusreise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW