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Radeln II"Berlin baut lieber Parkhäuser"

Im europäischen Vergleich steht Berlin ganz gut da, sagt EU-Parlamentarier Michael Cramer. Doch der Senat verbessere häufig nur die Infrastruktur für Autofahrer.

Berliner Radwege seien im Winter eine Katastrophe, sagt Cramer. Bild: dapd
Interview von Plutonia Plarre

taz: Herr Cramer, wie viele Fahrräder besitzen Sie?

Michael Cramer: Zwei. Die stehen zu Hause in Berlin unter der Treppe. Wenn ich in Straßburg bin, miete ich mir immer eines. Das Europaparlament stellt Fahrräder zur Verfügung. In Brüssel gehe ich zu Fuß. Da wohne ich 15 Minuten vom Parlament entfernt und freue mich, wenn ich mal etwas länger an der frischen Luft bin.

Was haben andere europäische Großstädte Berlin in Sachen Fahrrad voraus?

Berlin steht im europäischen Vergleich eigentlich ganz gut da. Ich würde sagen, es liegt in der Mitte. Der Fahrradanteil am Verkehrsaufkommen beträgt 14 Prozent. Von so einer Zahl träumen andere.

Wo ist es ganz schlimm?

Im Süden. Sevilla ist die Ausnahme. In Athen wird zurzeit Fahrrad gefahren, aber nur aus Geldknappheit.

Und von welchen Städten kann sich Berlin eine Scheibe abschneiden?

Michael Cramer

63, ist seit 2004 Abgeordneter der Grünen im Europaparlament. Er beschäftigt sich dort vor allem mit Verkehrspolitik. Die Einrichtung des Mauerradwegs entlang des Grenzstreifens in Berlin geht auf seine Initiative zurück. Cramer war 15 Jahre Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.

Im Norden ist es toll. Als ich im Winter in Helsinki war, haben sie mir ein Rad mit Spikes zur Verfügung gestellt. Und die Radwege werden natürlich auch im Winter von Schnee und Eis gereinigt. In Berlin ist da ja immer eine Katastrophe. Dann natürlich Kopenhagen, Amsterdam, die ganzen holländischen Städte.

Die Niederlande haben einen Fahrradanteil am Verkehrsaufkommen von 27 Prozent …

In Kopenhagen sind es fast 50 Prozent. Die ganze Stimmung ist da anders. Aber das ist auch eine kleinere Stadt. In Paris nimmt es zu, aber die Franzosen sind noch nicht weit wie Berlin.

Was ist das Besondere an Berlin?

Ich habe weltweit noch keine andere Stadt gesehen, wo man sein Fahrrad rund um die Uhr ohne Sperrzeiten in U- und S-Bahnen mitnehmen kann.

Berlin investiert in diesem Jahr insgesamt 5,5 Millionen Euro für den Ausbau und die Sanierung der Radverkehrs-Infrastruktur. Reicht dieser Betrag aus?

Das ist ein winziger Etat, wenn ich an das Flughafendesaster denke. Oder an die Stadtautobahn. Die Verlängerung der A 100 ist die teuerste Autobahn der Republik. Da spielt Geld keine Rolle – auch wenn der Bund das meiste bezahlt.

Was fehlt Berlin auf dem Fahrradsektor? Anders gefragt: Was wäre eine wegweisende Neuerung?

Wir brauchen eine Fahrradstation am Bahnhof. Bern, Münster und Freiburg haben das, das ist eine große Fahrradverleihstation am Bahnhof. Ich kann auch mein eigenes Rad dort abgeben und einen bewachten Stellplatz mieten. Wenn ich drei Tage weg bin, stelle ich mein Rad nicht gern am Bahnhof ab.

Da ist das Diebstahlsrisiko bekanntlich besonders groß.

Richtig. Stattdessen wurden am Hauptbahnhof und am Südkreuz Autoparkhäuser gebaut, die leer stehen und sich nicht rentieren.

Was könnte man denn noch machen?

Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen. Auf 80 Prozent der Straßen gilt es ja ohnehin schon. Das hat Rot-Grün 1989/90 eingeführt, die Akzeptanz ist da. Und Einbahnstraßen sollten von Radfahrern grundsätzlich in beide Richtungen befahrbar sein.

Was würden die Grünen anders machen, wären Sie jetzt an der Regierung?

Wir hätten den Haushaltstitel aufgestockt. Sehen Sie, in deutschen Städten sind 90 Prozent aller Autofahrten kürzer als 6 Kilometer. Das sind ideale Bedingungen, umzusteigen auf Bus, Bahn oder eben Fahrrad.

Braucht es mehr Druck auf die Politik?

Mit Sicherheit. Viele Erfolge in diesem Bereich wurden durch Druck aus der Opposition oder direkt aus der Bevölkerung erreicht. Zum Beispiel, dass im Schlosspark Charlottenburg weitergefahren werden darf und der Radweg sogar ausgebaut wurde. Da hat die Politik reagiert. Was ich mir wünschen würde, ist, dass die Deutsche Bahn endlich mal auf den Druck eingeht und ermöglicht, in allen Zügen – auch im ICE – Fahrräder mitzunehmen. Das Europäische Parlament, der Bundesrat und der Bundestag fordern das ja. Wenn ich in den Urlaub fahre, will ich doch nicht 27-mal umsteigen.

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3 Kommentare

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  • B
    Bankier

    Für den finanziellen Aspekt gibt's eine total einfache Lösung. Autofahrer sind fast alles Bauern, die nicht raffen, daß Geländewagen nicht in die Stadt gehören.

    Man braucht dann eigentlich nur noch Feldwege statt Strassen bauen und spart Milliarden. Außerdem werden dann diese Trecker ganz schnell wieder out und es ist mehr Platz.

  • HH
    Hans Höfer

    Tempo 30 wäre in der Tat eine sehr gute Maßnahme für Berlin, ebenso wie die generelle Einführung der für Radfahrer offenen Einbahnstraßen. Außerdem könnte Rechts-vor-Links und Zebrastreifen viele Ampeln überflüssig machen.

     

    Für Radfahrer wäre es aber viel wichtiger endlich die Kopfsteinpflaster zu asphaltieren und sämtliche "Gehwegradwege" abzuschaffen. Witzigerweise würde die Asphaltierung auch von vielen Autofahrern begrüßt werden...

  • SM
    Stephan Mirwalt

    Sehr gutes Interview.

     

    Ich fahre auch nur mit dem Fahrrad und empfinde gegenüber den Autofahrern nichts als Verachtung.